Stolpersteine erinnern in vielen Städten an von den Nationalsozialisten verfolgte und ermordete Menschen. Foto: Esther Stosch/pixelio.de
06.11.2020

Gegen das Vergessen

Der 9. November ist traditionell ein Gedenktag. In zahlreichen Städten und Gemeinden Westfalens wird an die Pogrome der Nationalsozialisten gegen die Juden erinnert.

Bei den Novemberpogromen 1938 wurden jüdische Einrichtungen, Wohnungen und Synagogen zerstört. Hunderte Juden wurden getötet. Damit die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten, erinnern vielerorts Politiker und Bürger an die Pogrome. Normalerweise treffen sie sich an historischen Orten oder an den Plätzen, an denen die Verbrechen begangen wurden. In Coronazeiten ist das nicht möglich.

So ist die Gedenkveranstaltung in Bielefeld abgesagt. In der Pogromnacht brannten NSDAP-Mitglieder die Bielefelder Synagoge nieder und zerstörten jüdische Geschäfte. Viele Juden wurden verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald verbracht, schreibt die Stadt. „Wenn wir unsere Zukunft gestalten wollen, müssen wir uns unserer Vergangenheit bewusst sein. Veranstaltungen der Erinnerungskultur haben eine besondere Bedeutung in unserer Stadt, aber die Gesundheit aller geht vor”, sagte Oberbürgermeister Pit Clausen zur Absage.

Andere Formen des Erinnerns

Andere Städte finden neue Formen des Erinnerns. In Ahaus erinnern die Schüler der Anne-Frank-Realschule mit Kerzen in den Fenstern an die Opfer nationalsozialistischer Gewalt. Die Schüler wollen so zur Wachsamkeit gegen Rassismus aufrufen. In Dorsten werden in der Stadt mehrere Plakate verteilt, die Porträts von in der NS-Zeit verfolgten Juden zeigen. Zugleich sind ihre Biografien zu lesen. Die Stadt hat dort mit dem Jüdischen Museum Westfalen zusammengearbeitet.

Eine der Biografien erzählt die Geschichte von Gertrud Reifeisen (1896-1945):

Gertrud Reifeisen (1896-1945), Foto: Jüdisches Museum Westfalen

Gertrud Reifeisen (1896-1945), Foto: Jüdisches Museum Westfalen

„Die am 12. Mai 1896 in Herford geborene Gertrud Anna Spanier, heiratete 1924 den aus dem polnischen Galizien stammenden Rechtswissenschaftler Simon Reifeisen. Das Ehepaar betrieb gemeinsam ein Geschäft für Herrenbekleidung in Dorsten in der Essener Straße 16.

Ihre 1926 in Dorsten geborene Tochter Ilse Reifeisen, besuchte von 1933 bis 1938 die dortige Ursulinenschule. Die gesellschaftlich angesehene jüdische Familie war eher liberal und weltoffen eingestellt und vermittelte diese Haltung auch ihrer Tochter.

Bereits Ende 1936 wurden Gertrud und ihre Familie Opfer ausgrenzender Maßnahmen und mussten Wohnung und Geschäft räumen. Aufgrund der polnischen Wurzeln von Simon Reifeisen wurde die Familie am 28. Oktober 1938 im Rahmen der „Polen-Aktion“ an die polnische Grenze abgeschoben und in der Stadt Zbaszyn nterniert. Bemühungen um eine Ausreise blieben erfolglos.

Gertrud und ihrem Mann Simon gelang es jedoch ihre Tochter Ilse im Dezember 1939 mit einem Kindertransport nach Schweden zu retten. Sie schickten Ilse jede Woche einen Brief nach Schweden, die sie als Erinnerung an ihre Eltern bis ins hohe Alter aufbewahrte. Die herzkranke Gertrud Reifeisen und ihr Mann wurden 1942 nach Riga deportiert. Simon gilt als verschollen. Gertrud wurde im Konzentrationslager Stutthof umgebracht.“ (Quelle für die Biografie: Jüdisches Museum Westfalen)

wsp

In unserer Serie „Erinnerungsorte“ berichten wir über weitere Orte der Erinnerung und Menschen, die gegen das Vergessen arbeiten. Hier geht’s zur Serie.

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