11.12.2021

Adventskalender – Tür 11

Hinter der heutigen Tür bringen wir Farbe in den grauen Winter: Münsters Picassomuseum zeigt Werke der Malerfreunde Camoin, Marquet, Manguin und Matisse. Unser Tipp für kalte Tage.

Freunde fürs Leben

Sehnsucht nach Farbe: Münsters Picassomuseum zeigt Werke der Malerfreunde Camoin, Marquet, Manguin und Matisse

Aktuelle Ausstellung im Picassomuseum in Münster. Foto: Hanna Neander/Picassomuseum

Aktuelle Ausstellung im Picassomuseum in Münster. Foto: Hanna Neander/Picassomuseum

Camoin, Marquet, Manguin – in Frankreich sind sie ausgesprochen populär und gern gesehene Museumsgäste, in Deutschland so gut wie unbekannt. Obwohl alle drei eine lebenslange Freundschaft mit Henri Matisse verband, werden ihre Werke hier fast nie gezeigt. Das soll sich ändern. In Münster gibt es jetzt diese außergewöhnlichen Künstler zu entdecken, deren Arbeiten – anfangs geprägt vom französischen Impressionismus, später farbintensiv und ausdrucksstark –  durchaus neben denen von Henri Matisse bestehen können, wie die aktuelle Sonderausstellung im Kunstmuseum Pablo Picasso zeigt. Museumsleiter Prof. Dr. Markus Müller lädt zum „Rendezvous der Freunde“, und unter diesem sprechenden Titel ist ihm ein regelrechter Überraschungscoup gelungen. Wer Sehnsucht nach Farbe verspürt und dem Novembergrau eine Zeitlang entkommen möchte, ist hier auf jeden Fall an der richtigen Adresse.

120 Gemälde, Zeichnungen, grafische Arbeiten und Skulpturen zeigt die Ausstellung über zwei Etagen und erzählt dabei die Geschichte einer lebenslangen Freundschaft. Kennengelernt haben sich Charles Camoin, Albert Marquet, Henri Manguin und Henri Matisse in den 1890er-Jahren in Paris an der École des Beaux-Arts, wo sie gemeinsam die Klasse des Symbolisten Gustave Moreau besuchten. „Die Geschichte ist fast wie ein biblisches Gleichnis“, erklärt Markus Müller. „Vier junge Männer ziehen aus, um Künstler zu werden. Alle vier werden erfolgreiche Maler, nur einer – Henri Matisse – wird weltberühmt.“

„Die Farbe muss gedacht, geträumt, imaginiert werden“

Was ihm die anderen aber nicht neideten. Lebenslang blieben sich die vier Maler freundschaftlich und künstlerisch verbunden, selbst als sie alle längst eigene Wege gingen. Wegweisend für alle vier war Gustave Moreau, der für seine unkonventionellen Lehrmethoden bekannt war und in dessen Pariser Atelier sich nicht die akademisch orientierten Nachwuchsmaler, sondern vielmehr innovative Künstlerpersönlichkeiten versammelten. Stets ermutigte Moreau seine Schüler, eine individuelle Bildsprache zu entwickeln. Seine extraordinäre Vorstellung vom Umgang mit der Farbe verdeutlicht sein überlieferter Appell: „Eines merken Sie sich gut: man muss die Farbe denken, eine Vorstellung von ihr haben! Wenn Sie keine Vorstellungskraft haben, werden Sie niemals eine schöne Farbe erzielen. … Die Farbe muss gedacht, geträumt, imaginiert werden.“ Er nahm damit die Möglichkeiten und Auffassungen von Farbe im 20. Jahrhundert vorweg und inspirierte Matisse und seine Kollegen zu Experimenten mit eigenen Farbzusammenstellungen und Maltechniken.

Charles Camoin, Der Jardin de la Colline Puget, Marseille, um 1904, Oel auf Leinwand, Kunsthaus Zürich, Foto: VG Bild-Kunst, Bonn_2021

Charles Camoin, Der Jardin de la Colline Puget, Marseille, um 1904, Oel auf Leinwand, Kunsthaus Zürich, Foto: VG Bild-Kunst, Bonn_2021

Der Tod ihres Lehrers Moreaus 1898 stürzte seine Schüler zunächst in eine tiefe Rat- und Orientierungslosigkeit, bald aber trafen sich die Freunde im Atelier Henri Manguins, um gemeinsam zu zeichnen und zu malen und sich gegenseitig zu korrigieren. Im Oktober 1905 ernteten die Malerfreunde im Pariser Herbstsalon einen Skandalerfolg. Die zeitgenössischen Kunstkritiker verurteilten ihre expressive Farbmalerei verächtlich als „extravagant“, „ungeschlacht“, „spontan und fernab von malerischer Kultur sowie kompositorischem Kalkül“. Der bekannteste Kritiker war Louis Vauxcelles, der ihre Kunst als Malerei von “wilden Tieren“ (franz. „fauves“) bezeichnete, was ihnen den Namen„les Fauves“ einbrachte. Und obwohl dieser Begriff sie und ihren künstlerischen Stil abwerten sollte, in Sammlerkreisen sorgte die herbe Kritik für viel Aufmerksamkeit. Neben den Geschwistern Gertrude und Leo Stein interessierten sich jetzt auch Kunsthändler wie Ambroise Vollard für die farbenfrohen, kontrastreichen Kompositionen.

Kräftige Pinselstriche

Landschaften, Stillleben und Porträts sind die wichtigsten Themen der Fauvisten. Der Süden Frankreichs wurde zum Ziel vieler Reisen während der Sommer- und Herbstmonate. Zu zweit oder dritt verbrachten die befreundeten Maler einige Monate im Jahr im Süden, um das irisierende Licht einzufangen. Der Stil der Fauvisten zeichnete sich durch eine satte Farbpalette, kräftige Pinselstriche und vereinfachte, oft abstrahierte Formen aus. Vorbilder wie Paul Cézanne, Vincent van Gogh oder Paul Signac sind vor allem in den Werken ihrer Anfangsjahre allgegenwärtig. In ihrer weiteren künstlerischen Entwicklung gingen die Malerfreunde sehr unterschiedliche Wege, wie die Ausstellung zeigt. Ihrer Freundschaft tat das keinen Abbruch. Ihre tiefe Verbundenheit spiegelt sich in Hunderten von Briefen, in denen sie auch immer wieder Anteil an den Erfolgen und Misserfolgen des jeweils anderen nehmen.

Albert Marquet (1875-1947) ging ab 1906 häufig auf Reisen, schuf überwiegend Landschaftsdarstellungen und Stadtansichten. Er findet seine Motive im Hamburger Hafen ebenso wie am Mittelmeer in Südfrankreich, in Algerien, Marokko, Tunesien und Ägypten. Sein Gemälde „Die Lagune von Venedig“ – eine „fast monochrom türkisfarbene Symphonie“ (Markus Müller) – bezeugt einen hohen Grad an Minimalismus und Abstraktion.

Adventskalender

Blicken Sie mit uns hinter die Türen des WESTFALENSPIEGEL-Adventskalenders.

Henri Manguin (1874-1949) ging als „recht zahmes wildes Tier in die Kunstgeschichte ein“, sagt Markus Müller. Doch gerade dieser gemäßigte Fauvismus bescherte dem Maler früh kommerziellen Erfolg. Mit Akten und Blumensträußen als Motiven wird Maguin ein erfolgreicher Maler des Bürgertums. Seine Frau Jeanne ist mit wenigen Ausnahmen sein einziges Modell.

Charles Camoin (1879-1965), der jüngste der vier Malerfreunde, stammte aus Marseille. Ab 1898 studiert er bei Moreau, der allerdings nur wenige Wochen später stirbt. Beeinflusst von den impressionistischen Werken, die Camoin in den Pariser Museen und Galerien studiert, entstehen erste Landschaften, darunter Ansichten von Paris wie 1903 der „Jardin du Roi in den Tuilerien“. Zusammen mit Henri Matisse verbringt Camoin mehrere Monate in Marokko. Hier schaffen die Freunde Seite an Seite ihre Werke, die Motive finden sie u.a. in der pittoresken Altstadt von Tanger.

Ausstellung läuft bis zum 16. Januar

„Für Matisse bildet die Begegnung mit dem Maghreb, seiner Kunst und Kultur, eine eminent wichtige Etappe in seiner künstlerischen Selbstfindung“, so Markus Müller. Wiederholt reist Henri Matisse (1869-1954) auch später nach Algerien und Marokko. Im Gegensatz zu seinen drei Studienfreunden ist Matisse kein Landschaftsmaler, sondern bekennender Figurenmaler. Seine Odalisken- und Haremsdarstellungen sind voller überbordender floraler Ornamentik. Die Bilder und Zeichnungen sind jetzt deutlich von ornamentalen Mustern und Strukturen bestimmt.

„Mit den farbigen Scherenschnitten seiner letzten Schaffensphase entwickelt Matisse ein Medium, das ihm die ideale Symbiose zwischen zeichnerischer Präzision und malerischer Flächenwirkung bietet“, erklärt Markus Müller, der in der oberen Etage aus der eigenen Museumssammlung die berühmten „Jazz“-Bilder in großzügiger Hängung präsentiert. Ein weiteres Highlight dieser Schau.

Klaudia Sluka

„Rendezvous der Freunde – Camoin, Marquet, Manguin, Matisse“, bis 16. Januar 2022, Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster. Geöffnet Di.-So. 10-18 Uhr; weitere Informationen finden Sie hier.

Dieser Beitrag erschien in Heft 6/2021 des WESTFALENSPIEGEL. Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Probeabos zwei Ausgaben kostenlos zum weiteren Kennenlernen zu. Hier geht es zum Probeabo.

Lesen Sie auch im Bereich "Kultur"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin