Adventskalender Tür 16
Hinter der heutigen Tür präsentieren wir einen Weltstar aus Westfalen: Ute Lemper blickt im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL auf ein bewegtes Leben zurück.
Schullaufbahn statt Rampenlicht? „Wenn ich ein Vernunftmensch gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich studiert und wäre Lehrerin für Deutsch und Französisch geworden“, erzählt Ute Lemper, der Weltstar mit Wurzeln in Münster, im Interview. „Da ich ein intuitiver Mensch war und erst mal einen Freiraum brauchte, habe ich mich entschieden, in die Schauspielschule zu gehen.“ Um schon kurze Zeit später eine große internationale Karriere zu starten – mit Stationen unter anderem in Wien, Berlin, Paris, London und New York. Mit ihrem ereignisreichen Leben hat sich Ute Lemper in den vergangenen Monaten intensiv beschäftigt. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag am 4. Juli ist ihre Autobiografie „Die Zeitreisende“ erschienen, die es auf Platz 3 der SPIEGEL-Bestsellerliste schaffte. Und auch ein neues Album, „Time Traveller“, mit selbst geschriebenen Jazz-Pop-Stücken hat „La Lemper“ veröffentlicht.
Biografie „Die Zeitreisende“
Das Gespräch mit dem WESTFALENSPIEGEL führt sie telefonisch aus ihrer Wahlheimat New York. Sie gehört zu den wenigen deutschen Künstlerinnen, die im Ausland mindestens genauso erfolgreich und bekannt sind wie in ihrer Heimat. Marlene Dietrich, eine andere Künstlerin, für die das gilt, und mit der die gebürtige Münsteranerin oft verglichen wurde, hatte Lemper in einem Telefonat 1987 noch geraten, ihr Privatleben besser geheimzuhalten. Doch in ihrer Autobiografie gibt Lemper freimütig Einblicke in ihr Familienleben und ihre Gefühlswelten. „Die Herausforderungen, mit Verlust, Enttäuschungen, Trauer, aber auch mit Inspirationen und Euphorie umzugehen, sind symbolisch. Der Leser kann sich über mein Leben mit sich selbst beschäftigen“, sagt sie.
Für „Die Zeitreisende“ hat Ute Lemper oft eine poetische Sprache gewählt. „Ich habe keinen Ghostwriter gehabt“, sagt sie. Alles sei ehrlich und authentisch. So beschreibt sie in ihrem Buch, wie nahe ihr die Anschläge vom 11. September 2001 in ihrer Nachbarschaft in New York gingen und wie sie Berlin vor und nach dem Fall der Mauer erlebt hat. „Das Buch ist eine Zeitreise meiner Generation, der westdeutschen Kalter-Krieg-Kinder. Es geht darum, wie wir mit unserem Deutsch-Sein zu kämpfen hatten und wie wir es weiterentwickelt haben.“
Der große Durchbruch kam in Paris
Aufgewachsen ist Ute Lemper in bescheidenen Verhältnissen in einem Mehrfamilienhaus nahe des Dortmund-Ems-Kanals. Ihre inzwischen verstorbenen Eltern beschreibt sie als „liebend und warmherzig“. „Mein Vater hat mir Stärke gegeben. Meine Mutter hat mich Intuition und Empathie gelehrt“, sagt sie. Schon als Kind steckte sie voller Kreativität, tanzte viel, verkleidete sich, erfand Geschichten, entdeckte die Plattensammlung ihres Vaters. An der Karriere als Künstlerin „ging kein Weg dran vorbei“, betont Lemper.
Schon nach einem Jahr an der Schauspielschule in Wien stand sie im Musical „Cats“ auf der Bühne. Weitere Engagements folgten in Berlin, Stuttgart und Lyon. „Der große Durchbruch kam in Paris mit ‚Cabaret’“, blickt sie zurück. Sie spielte in Musicals wie „Chicago“ und „Der blaue Engel“, stand am Broadway auf der Bühne, in Australien, Japan, Kanada, Argentinien. Was sie sehr geprägt habe als Künstlerin, so Lemper, waren die Kurt Weill/Bertolt Brecht-Aufnahmen, die ihr weltweit große Aufmerksamkeit einbrachten. Dennoch: „Besonders gerne singe ich meine eigenen Lieder.“
Seit 1998 in New York
Mit ihrer Familie lebt sie seit 1998 in New York. Zunächst mit ihrem ersten Ehemann, dem Comedian David Tabatsky, mit dem sie zwei Kinder hat. Dann, bis heute, mit ihrem Tour-Schlagzeuger Todd Turkisher. Auch mit ihm hat sie zwei Kinder. „Ich bin ein romantischer Mensch, der gerne in einem Nest lebt“, beschreibt sich Ute Lemper. Ausgerechnet die Metropole New York ist für sie ein solches Nest geworden: „Man kann alles zu Fuß abklappern, die Straßen sind mit Fußgängern gefüllt. Es gibt ein schönes Nachbarschaftsgefühl. Man kennt sich, man unterhält sich, man sieht die Kinder aufwachsen. Das einzige Laute hier sind die Kinderspielplätze – und das ist ja ein schönes Geräusch.“
Trotz der großen Entfernung pflegt sie viele Kontakte in ihre Heimatstadt. „Ich war zuletzt sehr viel in Münster und hatte mit meinem Vater – er im elektrischen Rollstuhl – lange Spaziergänge gemacht zu den Orten meiner und seiner Kindheit. Auch mein Bruder lebt noch dort, Cousinen und Cousins, Onkel und Tanten.“ Zudem engagiert sie sich seit 30 Jahren für das Familienhaus am Uniklinikum Münster, für das sie Benefizkonzerte gab. „Dort dürfen Eltern wohnen, damit sie ihre krebskranken Kinder bei langwierigen Behandlungen unterstützen können.“
Ihr Vater hatte ihr vor zehn Jahren gesagt, dass mit dem 50. Geburtstag die Jugend des Alters beginnt. In welcher Phase des Alters ist sie jetzt? Ute Lemper lacht: „In der reifen Jugend des Alters. Ich fühle mich physisch nicht viel anders als vor zehn Jahren, sondern genauso fit. Das Einzige, das sich verschlechtert hat, ist mein Augenlicht. Ich bin ein Mensch, der im Heute lebt und alles versucht, das Beste aus dem Jetzt zu machen – ohne Furcht vor der Zukunft und ohne Bedauern bezüglich der Vergangenheit.“
Ute Lemper steht am 4. Mai 2024 mit dem WDR Funkhausorchester Konzerthaus Dortmund auf der Bühne. Die Autobiografie „Die Zeitreisende“ ist bei Gräfe und Unzer erschienen (333 S., 26 Euro, das Hörbuch hat Ute Lemper selbst eingesprochen), das Album „Time Traveller“ (Label In-Akustik) kostet ca. 18 Euro. Weitere Informationen hier
Dieser Artikel ist zuerst im WESTFALENSPIEGEL 04/2023 erschienen.
Martin Zehren, wsp