
„Akut bedroht“
Theaterleute in NRW warnen vor einem Rückbau der freien Kulturszene. Es gibt große Unsicherheiten bei Ausschreibungen – zum Beispiel beim Treibkraft.Theater in Hamm.
Der Verband „Ruhr Bühnen“, dem zahlreiche große Theater und Festivals wie die Ruhrfestspiele Recklinghausen und die Ruhrtriennale angehören, kritisiert ausbleibende Ausschreibungen von Förderprogrammen. Als Folge der finanziellen Unsicherheiten sei die freie Kulturszene in NRW in ihrer Existenz „akut bedroht“. Der Rückbau bei freien Ensembles und Häusern würde langfristig die gesamte Kulturlandschaft NRWs schwächen, heißt es in einem offenen Brief. Zu den Unterzeichnern zählen neben der Dortmunder Schauspiel-Intendantin Julia Wissert und dem Ruhrfestspiel-Intendanten Olaf Kröck unter anderem auch Till Wyler von Ballmoos, der das Theater im Pumpenhaus in Münster leitet.
„Es droht ein kultureller Brain-Drain“
Das Land NRW habe in den vergangenen 15 Jahren ein „tolles Fördermodell“ für die freie Szene aufgebaut, sagte Kröck im Interview mit dem Kulturradio WDR3. So wurde unter anderem experimentelles Theater für junges Publikum ermöglicht. Diese Arbeit strahle „weit über die Landesgrenzen hinaus“. Aktuell gebe es jedoch eine große Unsicherheit bei der dreijährigen Spitzen- und Exzellenzförderung. Es fehlten Ausschreibungen. „Es droht ein kultureller Brain-Drain in NRW“, so Kröck. Betroffen seien auch große Häuser und Festivals, die regelmäßig Produktionen aus der freien Szene präsentieren. Die freie Szene habe über Jahrzehnte mit ihrer künstlerischen Innovationskraft überzeugt und setze damit starke und unverzichtbare Impulse für die gesamte Kunst- und Kulturszene. Diese Basis stehe nun auf dem Spiel, betonen die Ruhr Bühnen.

Vertreten die Ruhr Bühnen: Olaf Kröck und Julia Wissert. Foto: RVR / Sofia Brandes
Das Treibkraft.Theater aus Hamm ist ein Beispiel für eine Bühne, deren Arbeit durch die Förderung von Bund, Land und Kommune ermöglicht wird. Das fünfköpfige Ensemble erarbeitet Stücke zu gesellschaftlichen Themen. Dazu zählt „DemoCrisis“, ein „Theatergame zur Rettung der Demokratie“ für junge Menschen, „Ghul“, ein Schattentheater über das Anderssein für alle ab fünf Jahren, oder auch das interaktive Klassenzimmerstück „Bin ich rechts?“ Der Theatermacher Erpho Bell beschreibt den Anspruch des Treibkraft.Theaters: „Wir wollen mit unseren Produktionen Begegnungsräume schaffen und Menschen in den Dialog bringen. Bei Aufführungen von ‚Bin ich rechts?‘ sogar mit Menschen, die ansonsten nicht mehr miteinander reden.“ Die Stücke des 2016 gegründeten Ensembles seien gefragt. So wurde „Bin ich rechts?“ überregional bereits knapp 200 Mal gespielt. Das neue Stück „DemoCrisis“ ist in diesem Jahr zum WestWind-Festival dem 41. Theatertreffen für junges Publikum NRW eingeladen. Solch eine Auszeichnung sei wichtig für das Ensemble, denn sie helfe bei der Beantragung von Fördergeldern, berichtet Bell. Die „Antragslyrik“, also die passgenaue Ausrichtung von Anträgen auf Fördertöpfe, mache einen großen Teil der Arbeit aus. Dementsprechend groß ist beim Treibkraft.Theater aktuell auch die Unsicherheit über die zukünftige Finanzierung.
Virtuelles Theatererlebnis
Das Ensemble um den erfahrenen Dramaturgen und Autor Bell steckt aktuell in der Vorbereitung eines neuen Stückes: „Monetopolis Hamm – ein virtuelles Theaterlerlebnis rund um das Thema Geld“. Die Aufführungen finden ab Mai im Kurhaus Bad Hamm statt, das Publikum ist dort mit Mixed-Reality-Brillen unterwegs. Das soll vor allem junge Menschen locken, die eher nicht zum klassischen Theaterpublikum zählen. Sie dürfen in dem Stück um die Zukunft unserer Geldpolitik spielen. Zentral geht es um die Frage nach Kapitalismus und Moral. Das Treibkraft.Theater hat sich bereits im Sinne des Gemeinwohls entschieden: Jeder soll sich das Theatererlebnis leisten können, daher kostet beispielsweise ein Ticket für „DemoCrisis“ lediglich sechs Euro. Möglich ist das jedoch nur durch eine Kooperation mit der Stadt Hamm und durch Fördergelder des Landes. Fließt diese Unterstützung in Zukunft nicht mehr, dann ist auch dieses Spiel aus.
„Monetopolis Hamm“ wird ab dem 16. Mai im und um das Kurhaus Bad Hamm präsentiert und wendet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. Wer am interaktiven „Theater-Game“ teilnehmen möchte, muss sich zuvor anmelden. Tickets gibts beim Kulturbüro Hamm hier.
Annette Kiehl, wsp