Alles durch drei
Der Erfinder Nikola Tesla war ein exzentrischer Visionär. Alida Bremer hat ihm mit ihrem Monumentalroman ein diffenziertes Denkmal gesetzt.
Wenn er im Restaurant aß, ließ er sich 18 Servietten bringen. Er polierte zunächst sein Glas, dann das Besteck. 15 Servietten mussten dann vom Tisch entfernt werden, die drei übrigen benötigte er während des Essens. Die teuersten Maßanzüge waren ihm gerade gut genug. In seinen luxuriösen Hotelsuiten flogen Tauben, seine Lieblingstiere, ein und aus. Er war spindeldürr und schlief angeblich nur zwei Stunden pro Nacht. Seine Ernährung folgte einem eigenwilligen Plan. So war ihm bei der Bestellung eines Kuchens wichtig, dass sich alle Zutaten durch drei teilen ließen und jedes Stück idealerweise 393 Kubikzentimeter aufwies. Die Zahl drei hatte für ihn eine magische Bedeutung. Ein Haus betrat er erst, nachdem er es zuvor dreimal umrundet hatte.
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Das sind nur einige exzentrische Schrullen des genialen, aber auch umstrittenen serbischen Erfinders Nikola Tesla (1856–1943), der schon zu Lebzeiten eine Legende war. In die Wissenschaftsgeschichte ging er durch bahnbrechende, weltverändernde Erfindungen im Bereich der elektromagnetischen Übertragung ein. Allein 280 Patente tragen seinen Namen. Sein Schicksal war, dass andere diese kopierten und es dadurch zu Reichtum brachten. Während Tesla auf die Gunst von Gönnern angewiesen war, die seinen Lebensstil – Tesla lebte nur in den angesehensten Hotels – nur so lange finanzierten, wie sie hieraus Profit schlagen konnten. Zuletzt war der Physiker hochverschuldet.
Tragischer Held
Dem Höhenflug des Genies folgte ein kontinuierlicher Abstieg, zuletzt auch dadurch begünstigt, dass sich Tesla immer mehr esoterischen Theorien verschrieb. Er starb einsam und von seiner Umgebung unverstanden – ein tragischer Held, der an Zwangsneurosen litt. In der westlichen Welt geriet sein Name fast ganz in Vergessenheit.
Alida Bremers Monumentalroman „Tesla oder die Vollendung der Kreise“, dem wir diese Einblicke verdanken, ist keine Biografie über den serbischen Visionär. Im Mittelpunkt steht stattdessen die Figur des jungen Kroaten Anton, der in jungen Jahren mit zehn Dollar in der Tasche nach Amerika auswandert, um dort selbst eine wissenschaftliche Karriere anzustreben, viel Geld zu verdienen und eben jenen Tesla, sein Idol, zu treffen. Er lernt ihn als alten, vereinsamten und wunderlich gewordenen Mann kennen. Trotz des Altersunterschieds entsteht eine vertrauensvolle Freundschaft. Sie kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass Tesla Anton Pläne zu einer „Friedenswaffe“ hinterlässt, die aber, wenn sie in falsche Hände gerate, auch als Kriegswaffe missbraucht werden könne.
Anton führt mit Tesla lange Gespräche über dessen weltumspannende Visionen, wahrt dabei aber immer auch eine gewisse Distanz. In der Person des später hochangesehen Arztes, der selbst eine Studie über die Bedeutung der Elektrotherapie für die Medizin verfasst, spiegeln sich die politischen Wirren der Zeit, die seinen Lebensweg bestimmen. So nimmt er als Arzt am ersten Balkankrieg teil, lebt eine Zeitlang in England (wo er Zugang zu hohen Gesellschaftsschichten findet) und kehrt schließlich, als seine Eltern gebrechlich geworden sind, aus Anhänglichkeit an seine alte Heimat an die Adriaküste zurück. Zuvor war er zweimal als Spion verhaftet worden – Momente, in denen Bremers Roman Züge eines politischen Thrillers annehmen. Im dritten Teil ist Anton als pensionierter Arzt mit der Abfassung seiner Memoiren beschäftigt, im vierten gehen seine Enkelin und Urenkelin den Spuren ihres Großvaters und Urgroßvaters nach.
Komplexes Zeitpanorama
Alida Bremers Roman bietet ein komplexes Zeitpanorama, das neben der politischen Dimension (die Gründung und der Zerfall Jugoslawiens) wichtige Kapitel der Wissenschafts- und vor allem der Medizingeschichte rekapituliert. Man befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Zeit des Aufbruchs, wähnte sich an der Schwelle zu einer neuen Epoche. Es war die Zeit der großen Pioniere und Nobelpreisträger wie Wilhelm Conrad Röntgen oder Robert Koch. Tesla war einer der Propheten dieses neuen Zeitalters und derjenige mit den weitreichendsten Utopien. Seine größte Vision bestand darin, aus dem Weltall Energie zu gewinnen, um damit drahtlos Autos, Schiffe, Flugzeuge und Maschinen zu betreiben. Viele seiner ökologisch motivierten Ideen werden erst heute aufgegriffen.
Tesla wollte Menschen auf der gesamten Welt vernetzen, sie sollten dank seiner Radiotechnik miteinander kommunizieren, sich drahtlos unterhalten, sich gegenseitig bewegte Bilder und sogar Musik senden. Dabei setzte er nicht auf fossile Energiequellen, sondern auf „Windmühlen“, die er zu den wichtigsten Errungenschaften der Menschheit zählte. Seine Erfindung des rotierenden magnetischen Feldes und des Wechselmotors gelangte auf der ganzen Welt zur Anwendung. Die Idee zu einem Wasserkraftwerk an den Niagarafällen sei Tesla, dessen Worten zufolge, bei der Lektüre von Goethes „Faust“ gekommen. Das Sprachgenie war überhaupt ein Freund der Dichtung, nicht nur Goethes, sondern auch Dantes und Byrons.
Heute tragen ein Mondkrater und ein Asteroid, eine amerikanische Rockband und ein E-Auto Teslas Namen. Den Mann im Hintergrund kennt hingegen kaum noch jemand. Alida Bremer hat ihm in ihrem überaus kenntnisreichen und lesenswerten Roman ein differenziertes Denkmal gesetzt.
Walter Gödden