So hat Westfalen gewählt. Grafik: LWL-Statistik
16.05.2022

„Alte Hochburgen haben die Wahl gewonnen“

Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL ordnet der Politikwissenschaftler Prof. Norbert Kersting von der Westfälischen Wilhelms-Universität die Wahlergebnisse ein. 

Meinungsforscher haben ein Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und SPD erwartet. Nun hat Hendrik Wüst deutlich gewonnen.
Spannend ist es ja trotzdem. Es gibt theoretisch immer noch zwei Optionen für eine Regierungsbildung. Schwarz-Grün oder die Ampel. Allerdings muss man auch sagen, dass der Charme einer Zweierkoalition für die Partner natürlich deutlich größer ist, da hier weniger Konflikte zu erwarten sind als bei einem Dreierbündnis. Wir haben ja von vornherein gesagt, dass es eine neue Landesregierung geben wird. Und so ist es ja auch gekommen. So daneben gelegen, haben die Meinungsforscher also doch nicht.

Weshalb liegt die CDU so deutlich vorn? 
Insbesondere hat es die CDU deutlich besser geschafft, ihre Wähler zu mobilisieren als die SPD. Das finde ich wirklich eklatant. Vor allem im Münsterland und auch in anderen ländlichen Regionen hat es die CDU geschafft, die eigenen Kandidaten durchzubekommen. Ich würde sogar sagen, die alten Hochburgen im Münsterland und im Sauerland haben die Wahl gewonnen. Hier war die Wahlbeteiligung im Vergleich zum Landesdurchschnitt relativ hoch. Die ältere Bevölkerung ist wählen gegangen. Die kurzzeitige Loslösung der Stammwähler, die wir noch bei der Bundestagswahl in diesen Regionen gesehen haben, hat die CDU wieder behoben. Die Wähler sind zurückgekommen.

Wie ist das gelungen? 
Die CDU hat es geschafft, den Streit in der eigenen Partei aus dem September schnell beizulegen. Die Einigkeit hat geholfen, sonst hätte es auch anders kommen können.

Weshalb haben SPD und FDP so stark verloren?
Für Parteien, die im Bund regieren, ist es häufig schwierig, sich zu positionieren. Interessanter Weise sind da die SPD und die FDP abgestraft worden. Die FDP noch mal deutlicher verloren, weil sie auch bei den Landesthemen keine gute Figur abgegeben hat. Insbesondere hat die FDP-Schulministerin keine guten Noten bekommen. Bei der SPD war es sicher auch ein Problem, dass Thomas Kutschaty als Spitzenkandidat einen geringen Bekanntheitsgrad hatte.

Die Grünen konnten ihr Wahlergebnis als Partie der Bundes-Ampel aber sogar verdreifachen.
Ihre Themen, vor allem vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, sind anschlussfähig. Zum Beispiel ist die Energiesicherheit sehr wichtig gewesen. Da finden die Wähler bei den Grünen Anschluss. Als einzige Partei konnten sie inhaltlich Themen setzen.

Serie zur Landtagswahl

NRW hat einen neuen Landtag gewählt. In unserer Serie blicken wir aus westfälischer Perspektive auf Ergebnisse, Themen und Parteien.

Die Wahlbeteiligung lag bei 55,5 Prozent – haben Sie eine Erklärung für das Desinteresse an der Landtagswahl?
Es fehlten die Themen, die Konflikte waren nicht gravierend. So waren bei dieser Wahl Bundesthemen eher relevant. Außerdem kann man eine gewisse Zufriedenheit feststellen, die dazu führt, dass die Wähler sagen: Es ist doch jetzt egal, ob wir Schwarz-Grün oder eine Ampel bekommen. Außerdem war das Wetter zu schön. Das hat sicher einige jüngere und mittel-alte Wähler vom Gang zur Urne abgehalten. Insgesamt ist die geringe Wahlbeteiligung erschreckend. Da muss man gegensteuern.

Thomas Kutschaty hat eine Ampelkoalition nicht ausgeschlossen – ist das realistisch?
Zunächst liegt der Ball im Feld der CDU. Sie wird eine Schwarz-Grüne Regierung anstreben. Die CDU wird sondieren. Aber sie muss – und das sollte man nicht unterschätzen – eine Partei überzeugen, die nicht aus ihrem Lager kommt. Das ist eine gewaltige Aufgabe. Interessant ist übrigens, dass die Wähler der CDU bei Energiethemen schon näher an den Grünen sind, als es die Partei selbst ist. Bei einigen Themen hat sich die CDU im Wahlprogramm sehr weit weg von den Grünen positioniert. Da sind sie absolut nicht einer Meinung.

Zum Beispiel beim Abstand von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung.
Genau, die CDU ist im Wahlkampf für die Einhaltung der 1000-Meter-Abstandsregel eingetreten, die Grünen wollen sie kippen. Ich glaube, dass die CDU da nachgeben wird. Und so gibt es eine Reihe von Themen wie ein Wahlrecht ab 16 Jahren und eine höhere Frauenquote, bei denen die beiden Parteien weit auseinander liegen.

Politikwissenschaftler, Prof. Norbert Kersting. Foto: WWU/Anna Overmeyer

Politikwissenschaftler, Prof. Norbert Kersting. Foto: WWU/Anna Overmeyer

Was bedeutet der Wahlausgang für Westfalen?
Ich denke, dass nun auch in den ländlichen Regionen, die ja von der CDU bestimmt sind, Nachhaltigkeitsthemen vorangetrieben werden. Die Grünen haben sich bei dieser Wahl mit ihren Themen durchsetzen können. Das werden jetzt die anderen Parteien aufgreifen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Ich bin recht sicher, dass es in Westfalen ein Umdenken im Bereich der Mobilität geben wird. Man kann nur hoffen, dass es da auch neue Konzepte für die entlegeneren Regionen gibt. Auch bei der Energieversorgung wird sich einiges ändern. Darauf werden die Grünen drängen. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Abstandsregel für Windkraftanlagen fallen wird, und auch bei den Photovoltaik-Anlagen wird sich noch einiges tun. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, hat Hermann Hesse geschrieben. Schwarz-Grün gab es in NRW bisher nicht, darin liegt eine Chance. Vielleicht kann man nun ein wirkliches Durchstarten in der Landespolitik realisieren.

Interview: Jürgen Bröker, wsp

Die Wahlergebnisse für Westfalen können Sie hier nachlesen.

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