Ausnahmezustand in Ahaus
Vor 25 Jahren kamen die ersten Castor-Behälter mit Brennelementen im Zwischenlager in Ahaus an. Begleitet von Protesten und einem der größten Polizeiaufgebote in der Geschichte der Bundesrepublik. Es herrschte Ausnahmezustand in Ahaus.
Im März 1998 hatte die Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ gemeinsam mit der Initiative „X-tausendmal quer“ zu den Demonstrationen aufgerufen. Rund 10.000 Menschen aus ganz Deutschland waren dem Aufruf gefolgt. 30.000 Polizisten sollten sicherstellen, dass der Transport das Brennelementezwischenlager (BZA) in der Stadt im Münsterland erreicht. „Das waren sehr aufregende Tage damals. Wir wussten, dass der Transport kommt und wollten größere Aktionen starten“, erinnert sich Hartmut Liebermann. Der 74-jährige ehemalige Gymnasiallehrer gehört zu den Gründungsmitgliedern der Ahauser Antiatommüll-Bewegung.
Die Behörden versuchten die Demonstrierenden „auszutricksen“: Sie verlegten den Start des Transports einige Tage vor den eigentlich geplanten Termin. „Aber wir waren informiert und konnten unseren Protest so pünktlich organisieren“, sagt Liebermann. Die Aktivisten blockierten Bahngleise, ketteten sich an die Schienen und belagerten die Zufahrt zum BZA. Die Polizei räumte die Blockaden, dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Beamten und den Demonstranten. Am Ende erreichte der Transport sein Ziel. „Am Abend herrschte zunächst schon Trauer und Frust, dass wir die Ankunft im Lager nicht verhindern konnten“, fasst Liebermann die damalige Stimmung zusammen. Seit 25 Jahren stehen die Behälter nun schon im Zwischenlager Ahaus.
Lager-Genehmigung läuft 2036 aus
Dennoch wertet Liebermann den Protest auch als Erfolg. Schließlich habe die Bundesregierung einige Monate später entschieden, dass keine Transporte in die Zwischenlager mehr stattfinden sollten. „Stattdessen wurden Zwischenlager an den Atomkraftwerksstandorten eingerichtet“, so Liebermann weiter. Die Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ gründete sich bereits 1977, als erste Pläne für ein Zwischenlager im Münsterland bekannt wurden. „Weil es kein Endlager für den Atommüll gab, hatten wir schon damals die Sorge, dass die radioaktiven Brennelemente länger in Ahaus verbleiben als ursprünglich vorgesehen“, sagt Liebermann. Die Initiative wird damit wohl recht behalten. Denn immer noch gibt es in Deutschland kein Endlager für Atommüll.
Experten rechnen damit, dass mindestens noch bis zum Jahr 2060 dauern wird, ehe ein Endlager in Betrieb gehen kann. Für das Zwischenlager in Ahaus läuft die Genehmigung 2036 aus. Die BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH (BGZ) als Betreiber der Zwischenlager bereitet sich bereits seit 2017 auf die verlängerte Zwischenlagerung vor, so ein Sprecher der BGZ gegenüber dem Westfalenspiegel: „Für den Fall des Brennelemente-Zwischenlagers Ahaus bedeutet das, dass wir ungefähr acht Jahre vor Auslaufen der Bestandsgenehmigung eine neue Genehmigung nach dem dann geltenden Stand von Wissenschaft und Technik beantragen werden.“
Weitere Transporte möglich
Die BGZ hat ein Forschungsprogramm gestartet, das unter anderem das Alterungsverhalten der Castor-Behälter und der darin befindlichen Brennelemente untersucht, heißt es weiter. Für Liebermann und seine Mitstreiter geht das nicht weit genug. Die Mitglieder der Ahauser Initiative machen sich keine Hoffnungen, „dass das Zeug“ schnell aus Ahaus verschwindet. Daher will man erreichen, dass auch das Gebäude, in dem die Brennelemente gelagert werden, stärker auf ihre Sicherheit überprüft werden. So fordert die Initiative etwa, dass das Mauerwerk verstärkt wird. Man stehe aber mit der BGZ im Austausch.
Insgesamt lagern in Ahaus inzwischen rund 330 Behälter mit radioaktivem Müll. Zwischen 1992 und 1995 kamen 305 Behälter mit Brennelementen aus dem Thorium-Hochtemperatur Reaktor (THTR) in Hamm-Uentrop, im März 1998 dann der von den großen Protesten begleitete Transport mit sechs Castor-Behältern aus den Atomkraftwerken Neckarwestheim und Gundremmingen und schließlich 2005 ein weiterer Transport mit 18 Behältern mit Brennelementen aus dem ehemaligen Forschungsreaktor Dresden-Rossendorf. Gut möglich, dass zu den bisherigen Transporten ins BZA doch wieder weitere hinzukommen. Die Brennelemente könnten dann aus den Forschungsreaktoren in Garching, Berlin und Mainz stammen. Allerdings, so der BGZ-Sprecher, lägen für keines der genannten Projekte alle Voraussetzungen vor, so dass heute nicht seriös beantwortet werden kann, ob und wann die möglichen Transporte stattfinden.
Jürgen Bröker/wsp