Der Sparkassen-Bus fährt seit einigen Monaten durch Rahden.
21.03.2018

Banken machen mobil

Niedrigzinsphase, Regulierung und Digitalisierung setzen Kreditinstitute unter Druck. Filialschließungen und Fusionen stehen kreativen Lösungen gegenüber.

Rahden war einmal Spitze: Bis vor wenigen Monaten hatte die Kleinstadt im äußersten Norden Westfalens eines der dichtesten Bankfilialnetze in Deutschland. Mit den Hauptgeschäftsstellen von Sparkasse und Volksbank im Stadtzentrum sowie den Sparkassenfilialen in den Ortschaften Preußisch Ströhen, Varl, Sielhorst, Wehe und Tonnenheide zählte die Kleinstadt zu den – rein rechnerisch – am besten versorgten Orten in Nordrhein-Westfalen und auch bundesweit.

Von den fünf Zweigstellen der Stadtsparkasse Rahden besteht heute nur noch eine. Die Schließungen im vergangenen Herbst waren für die Ortschaften ein herber Verlust. So waren die Sparkassen in einigen Dörfern der letzte Nahversorger, nachdem Metzger, Bäcker oder Supermarkt schon vor längerer Zeit aufgegeben hatten. Gerade ältere Leute, die nicht mehr mobil sind und kein Online-Banking nutzen, waren auf die Bank in ihrem Umfeld angewiesen und mancher Bankmitarbeiter bediente die Kundschaft dort seit vielen Jahren.

Sparkassen-Bus fährt durch Rahden

Als Ersatz für die geschlossenen Filialen fährt seit November 2017 ein Sparkassen-Bus durch die 16.000-Einwohner-Stadt und hält jeweils für mehrere Stunden am Vormittag oder Nachmittag in den Dörfern. Malte Stratmann, Fahrer und Servicemitarbeiter in einem, steht dann am Tresen des acht Meter langen, roten Fahrzeugs. Er nimmt Überweisungen und Daueraufträge entgegen, trägt Sparguthaben ein oder vereinbart mit den Kunden einen Termin für eine ausführliche Beratung in der Hauptstelle. Geld auszahlen darf der Bankkaufmann aus Sicherheitsgründen im Bus nicht selbst, aber er hilft den meist älteren Leuten dabei, den Geldautomaten zu bedienen. Wichtig, sagt er, sei das Gespräch mit den Kunden oder auch mal eine kleine Hilfestellung beim Einstieg in die mobile Geschäftsstelle.

Die Situation in Rahden ist kein Einzelfall, weder in Westfalen noch bundesweit. So fährt selbst in Großstädten wie Köln und Duisburg ein Sparkassen-Bus durch Stadtteile ohne eigene Geschäftsstelle. Seit dem Jahr 2000 wurden nach Berechnung der KfW Bank und der Universität Siegen mehr als 10.000 Bankfilialen bundesweit geschlossen, das ist jeder vierte Standort. Wissenschaftliche Prognosen gehen von einer weiteren Ausdünnung des Filialnetzes aus. Betroffen davon sind nahezu alle Regionen, in erster Linie aber die Landkreise. Dort sind ohnehin fast ausschließlich Sparkassen und Volksbanken präsent, während sich andere Kreditinstitute auf Großstädte konzentrieren.

Kunden nutzen Online-Angebote

Angetrieben wird diese Entwicklung durch die Digitalisierung. So ist die Zahl der Sparkassenkunden in Westfalen, die ihr Konto online führen, seit dem Jahr 2010 von knapp 1,6 Millionen auf rund 2,3 Millionen gestiegen, das sind fast 50 Prozent. Insgesamt nutzen mehr als die Hälfte der Girokunden das Online-Banking der Sparkassen. Die Anzahl der Filialen mit dem roten „S“ hat in Westfalen hingegen seit 2010 um 13 Prozent abgenommen und liegt derzeit bei insgesamt etwa 1280. Darunter sind rund 340 Selbstbedienungsstandorte – mit steigender Tendenz. Im Durchschnitt besucht ein westfälischer Sparkassenkunde nur noch einmal pro Jahr eine Geschäftsstelle, nutzt jedoch 16 Mal im Monat die Konto-App auf dem Smartphone und besucht im gleichen Zeitraum zehn Mal die Online-Filiale, zeigen Statistiken. „Wir können Geschäftsstellen, die kaum noch genutzt werden, nicht künstlich aufrecht erhalten“, sagt Prof. Liane Buchholz, Präsidentin des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe, zu diesem Trend.

In Rahden im Kreis Minden-Lübbecke war die Situation ähnlich. Die kleinen Zweigstellen wurden wenig besucht und litten bereits unter Einschränkungen. Teilweise waren sie nur ein paar Stunden am Tag geöffnet, hatten keinen Geldautomaten und waren lediglich mit einem Mitarbeiter besetzt, so dass dort keine längere Beratung möglich war. Der Sparkassen-Bus soll hier nun Kosten sparen, gleichzeitig aber die Versorgung der Bevölkerung sichern, zu der die Institute durch das Sparkassengesetz verpflichtet sind.

„Es ist das kleinere Übel, Filialen zu schließen, als zu fusionieren“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Stadtsparkasse Rahden, Hartmut Jork, deutlich. Stolz erzählt er, dass seine Sparkasse zwar zu den kleinsten, gleichzeitig aber zu den erfolgreichsten Instituten in Westfalen zähle. Nah dran zu sein bedeute für ihn, dass er zum Beispiel fast jeden Firmenkunden persönlich kenne und das sei bei einem größeren Kreditinstitut eben nicht mehr unbedingt der Fall.

Trend geht zu Fusionen

Mit dieser Überzeugung stellt sich die Stadtsparkasse Rahden dem Trend der Fusionen entgegen. So reduzierte sich die Zahl der Sparkassen in Westfalen in den vergangenen zehn Jahren von 76 auf 61, ebenso haben sich mehrere Volksbanken zusammengeschlossen oder planen diesen Schritt. Die Sparda-Bank West mit Sitz in Düsseldorf und die Sparda-Bank Münster verhandeln derzeit über eine Fusion. Die Begründungen klingen ähnlich: Ein härterer Wettbewerb im Finanzbereich, die Niedrigzinsphase und wachsende Auflagen durch die Bankenaufsicht, die sogenannte Regulierung. Größere Institute könnten solchen Herausforderungen besser begegnen, heißt es.

Der Bankenexperte Dr. Stefan Gärtner warnt jedoch. „Beispiele aus Ländern wie Spanien zeigen, dass weniger Geld in strukturschwachen Regionen bleibt, wenn es nur noch einige zentrale Banken gibt. Großen Instituten fehlt häufig das Wissen über kleine Unternehmen vor Ort, deren Produkte und Netzwerke. Daher geben sie solchen Betrieben seltener Kredite“, erklärt der Leiter des Forschungsschwerpunktes Raumkapital am Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. Er hält die regional verwurzelten Banken für einen Erfolgsfaktor in der mittelständisch geprägten Wirtschaft Deutschlands. Fusionen, ist Gärtner überzeugt, sollten ausschließlich in Ausnahmefällen stattfinden. „Filialen zu schließen gilt als unpopulär. Es ist aber wichtiger, dass mit einer selbstständigen Bank die Entscheidungskompetenz vor Ort bleibt.“ Gerade kleine Institute seien in ihrem Gebiet kompetent und auch erfolgreich. „Da kennt der Vorstand seine Bilanz oft auswendig und hat ein Gefühl für seine Region“, so Gärtner.

Sparkassen und auch die genossenschaftlichen Banken stehen vor der Herausforderung, eine Grundversorgung für die Bevölkerung zu gewährleisten und den Anschluss an die Digitalisierung nicht zu verpassen. Projekte wie die Online-Videoberatung, Bargeld-Bringdienste oder ein Text-Chat-Service sind Beispiele für mögliche Lösungen.

In Rahden plant Sparkassendirektor Hartmut Jork, in der Hauptgeschäftsstelle ein neues Servicecenter einzurichten. Kunden könnten dann Bankgeschäfte komfortabler am Telefon erledigen, was immer häufiger gewünscht werde. Ihm sei es wichtig, solche Anrufe nicht an ein externes, anonymes Callcenter weiterzuleiten, erzählt er: „Meine Mitarbeiter erkennen ihre Kunden oft bereits an der Stimme. Das soll auch so bleiben.“

Annette Kiehl

Über die Zukunft der Sparkassen-Filialen hat der WESTFALENSPIEGEL mit der westfälische Verbandspräsidentin Prof. Liane Buchholz gesprochen. Hier geht es zum Interview.

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