Frisch gezapft: eine aktuelle Ausstellung im Sauerland-Museum thematisiert die südwestfälische Brau- und Bierkultur. Foto: Bröker, Westfalenspiegel
22.04.2024

Bierkultur im Wandel

Eine Runde für alle: Die Ausstellung „Frisch gezapft. Das Bier und wir“ im Sauerland-Museum macht Brauen und Bier als Kulturgut mit langer Tradition erlebbar.

Vorn ein dunkler Tresen mit Zapfhahn. Dahinter ein Gläserschrank mit Schubladen, in denen die Wirte Knobelwürfel und Skatspiele für die Gäste aufbewahrten. Und ein paar Meter weiter hängt eine Außenleuchte mit dem Schriftzug „Im Krug zum grünen Kranze“: Das Kopfkino produziert sofort Bilder aus den 1950er, 60er und 70er Jahren, in denen vornehmlich Männer in Luft voller Zigarettenrauch ihr Feierabendbier tranken oder sich am Sonntagmorgen in gestärktem Hemd, Krawatte und Jackett zum Frühschoppen trafen. Die Szenerie gehört zur Erlebnisausstellung „Frisch gezapft. Das Bier und wir“, die bis zum 29. September im Sauerland-Museum in Arnsberg zu sehen ist.

Das Team des Sauerland-Museums um Leiter Dr. Oliver Schmidt und seine Stellvertreterin Dr. Ulrike Schowe hat das 200. Jubiläum der Veltins-Brauerei in Meschede-Grevenstein als eine der größten Braustätten Deutschlands zum Anlass genommen, die südwestfälische Brau- und Bierkultur zu thematisieren. Eine ganze Reihe von Exponaten wurde von der Grevensteiner Brauerei gestellt. Gleichwohl finden aber auch die Warsteiner und die Krombacher Brauerei, Dortmunder Brauereien sowie kleinere Betriebe ihren Platz. Auch sie haben Exponate, angefangen vom großen Sudkessel bis hin zu Bierdeckeln, zur Verfügung gestellt.


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Ziel ist es, „Brauen und Bier als ein Kulturgut mit langer Geschichte erlebbar zu machen, historisch als Lebensmittel und in der Genusswelt des 20. und 21. Jahrhunderts als Genussprodukt“, sagt Museumsleiter Dr. Oliver Schmidt. So beleuchtet die Ausstellung das traditionelle Handwerk der Braukunst, die Industrialisierung und die Erfolgsgeschichte des Sauerländer Biers. Und sie lässt Besucherinnen und Besucher in die Welten eintauchen, in denen Bier konsumiert wird: vom heimischen Wohnzimmer bis hin zum Fußballstadion.

Reinheitsgebot beschränkt seit 1516 die Zutatenliste

Zum Auftakt der Ausstellung geht es um die Rohstoffe der Bierherstellung. Während in der antiken und mittelalterlichen Braukunst Gewürze, Kräuter, Schokolade, Reis, Kaffee und sogar Tollkirsche als geeignete Zutaten galten, muss seit 1516 das Reinheitsgebot eingehalten werden. Gebraut wird seither nur noch mit Wasser, Hopfen, Hefe und Malz. In der Ausstellung können Besucherinnen und Besucher diese vier Zutaten mit allen Sinnen wahrnehmen: Hopfenvarianten riechen, Malz schmecken und den Unterschied zwischen weichem und harten Brauwasser erfahren.

in den 1950er Jahren waren Kneipen ein beliebter Treffpunkt, hier der Gasthof „Zur Post" in Düdinghausen bei Medebach. Foto: Dorfarchiv Düdinghausen

in den 1950er Jahren waren Kneipen ein beliebter Treffpunkt, hier der Gasthof „Zur Post“ in Düdinghausen bei Medebach. Foto: Dorfarchiv Düdinghausen

Der Gang zum nächsten großen Ausstellungsraum ist ein Streifzug durch die Regionalgeschichte des Brauens. Das war im Sauerland anfänglich Sache der Bäcker und Frauen, zu deren Alltag es gehörte, mit Hefen zu arbeiten. Auch in den Klöstern wurde gebraut, allerdings immer nur für den Hausbedarf. Die Sauerländer verkauften ihr Bier damals nicht außerhalb der Region.

Das änderte sich erst, als die Familie Cramer 1753 in Warstein anfing zu brauen. In Grevenstein begann der Gastwirt Franz Kramer 1824, Bier zu produzieren und es fassweise an andere Gasthäuser zu verkaufen. Und in Marsberg-Westheim entstand die Brauerei Westheim als Nebengeschäft der Landwirtschaft einer alteingesessenen adligen Familie.

Vom Handwerk zur Industrie

Die Ausstellung dokumentiert den Übergang vom handwerklichen zum industriellen Brauen. Dabei spielt die Logistik eine wesentliche Rolle: Heute werden die Biere in rasanter Geschwindigkeit vollautomatisch abgefüllt und in Flaschen, Dosen, Fässern und sogar Tanks etwa für Stadien teils international vertrieben. Auch die westfälische Nachbarschaft nimmt das Sauerland-Museum mit in den Blick: Zur Konkurrenz am Markt zählen die Brauereien in Dortmund, die bis in die 1970er Jahre den deutschen und auch den Biermarkt des Sauerlands beherrschten. Doch den großen südwestfälischen Brauereien wie Warsteiner und Krombacher gelang es, unter anderem durch geschicktes Marketing, die Dortmunder  Vorherrschaft aufzubrechen.

Ein Sudkessel ist für die Ausstellung ins Sauerland-Museum gebracht worden. Foto: Sauerland-Museum

Ein Sudkessel ist für die Ausstellung ins Sauerland-Museum gebracht worden. Foto: Sauerland-Museum

Als „Herzstück“ der Ausstellung bezeichnet Museumsleiter Schmidt die Konsum- und Genusswelten des Biers. Das sind zunächst die Kneipen und Gasthäuser mit Stammtisch und Kicker. Aus einer Jukebox sind Erlebnisse von Zeitzeugen zu hören. Außerdem erklingt Musik aus diesen goldenen Zeiten, die längst vergangen sind, weil viele Menschen das gemütliche Beisammensein oft in den privaten Bereich verlegt haben. In der Ausstellung leben Kneipe und Stammtisch wieder auf – auch durch Virtual-Reality-Brillen (VR-Brillen), die den Besucherinnen und Besuchern ein immersives Erlebnis verschaffen und in eine digitale Welt eintauchen lassen.

Trend zu alkoholfreiem und Craft-Bieren

Die traditionellen Sauerländer Schützenfeste als Bier-Konsumwelten sind ebenso Bestandteil der Ausstellung wie Fußballstadien, bei denen Fans mit zig Tausenden Litern Bier feiern und leiden – je nachdem, für welchen Verein das Fanherz schlägt. Und auch die Trends zum handwerklich gebrauten Craft Beer und zu alkoholfreien Bieren finden ihren Platz.

Ein eigens für die Ausstellung entwickelter Chatbot, also ein computerbasiertes Dialogsystem, bietet die Möglichkeit, Geschichten rund ums Bier zu erfahren und Wissen zu vertiefen. „Die Ausstellung ist keine schwere Kost. Sie eignet sich auch sehr gut für Geselligkeit und Ausflüge“, sagt Ulrike Schowe und freut sich darüber, dass es zahlreiche Anfragen auch größerer Gruppen gibt.

Corina Wegler

„Frisch gezapft. Das Bier und wir“, bis 29. September im Sauerland-Museum Arnsberg, geöffnet Di. 9–18 Uhr, Mi. bis Fr. 9–17 Uhr, Sa. 14–18 Uhr, So. und feiertags 10–18 Uhr. Auch die Gefahr durch Alkohol spielt im Museum eine Rolle: So gibt es für Schulklassen Vermittlungsangebote, die für das Thema sensibilisieren. Und der Titel eines Vortrags am 17. September lautet: „Alkohol – Vom Genuss zur Sucht“.
www.sauerland-museum.de 

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