Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main. Foto: dbv/Thomas Meyer/Ostkreuz
24.10.2019

„Bollwerke der Demokratie“

Früher durfte in Bibliotheken nur geflüstert werden, heute sind die Einrichtungen auch Leseorte, Begegnungsstätten und Experimentierfelder. Fast 250 Bibliotheksstandorte gibt es in Westfalen, dazu kommen Hochschulbibliotheken, katholische und evangelische Büchereien sowie sechs Bücherbusse. Johannes Borbach-Jaene ist Leiter der Stadt und Landesbibliothek Dortmund und Vorsitzender des Verbands der Bibliotheken in NRW. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL spricht er über Risiken und Chancen der Bibliotheksarbeit.

Warum braucht man heute noch Bibliotheken, wenn Informationen jeder Art im Internet zu finden sind?

Als es mit dem Internet und der Digitalisierung losging, hat man gesagt, demnächst liege alles auf Servern, da brauche man keine Bibliotheken mehr. Wir beobachten aber, dass die Bibliotheken voller sind als jemals zuvor. In Hochphasen wie der Abi-Vorbereitung finden Sie bei uns in Dortmund keinen freien Stuhl. Offensichtlich gibt es gerade in Zeiten, in denen man so vieles elektronisch bekommen kann, das Bedürfnis nach einem Ort, an dem man arbeiten, sich treffen und die Medien und technische Infrastruktur nutzen kann. 

Sie sagen: „Bibliotheken sind Bollwerke unserer modernen Demokratie.“ Weshalb?

Wir stellen zwar heute fest, dass es mehr Informationen gibt als je zuvor, aber es wird auch immer komplizierter, gesicherte Informationen von nicht gesicherten zu trennen. Dabei können Bibliotheken wichtige Kompetenzen vermitteln, zum Beispiel an Schüler und Studierende. Nur wenn ich mich gut informieren kann, kann ich mir eine eigene Meinung bilden und an den demokratischen Prozessen teilnehmen. 

Die Stadt- und Landesbibliothek in Dortmund. Foto: Stefanie Kleemann

Die Stadt- und Landesbibliothek in Dortmund. Foto: Stefanie Kleemann

Laut der „Stiftung Lesen“ werden immer weniger Bücher gelesen. Spüren die Bibliotheken diesen Trend?

Wir spüren das, Bibliotheken haben Rückgänge im klassischen Ausleihgeschäft. Man muss aber differenzieren: Im Sachbuch-Bereich sind zum Beispiel Ratgeber nicht mehr so gefragt. Wenn Sie früher wissen wollten, wie man einen Staudengarten anlegt, haben sie nach Büchern gesucht. Heute können Sie sich dazu bei YouTube Videos ansehen. Aber es gibt auch Bereiche, wo die Ausleihen stabil sind oder sogar wachsen wie bei den Kinder- und Jugendbüchern. Die Bibliotheken schauen gezielt, welche Bücher sie weiter anbieten wollen und reduzieren ihren Bestand an nicht mehr so stark nachgefragten Büchern. Den Raum nutzen sie, um mehr Angebote zu schaffen für Menschen, die sich in der Bibliothek aufhalten wollen: Lounge-Bereiche, ein kleines Café oder Werkstattbereiche. 

Das NRW-Kulturministerium hat das Förderprogramm „Dritte Orte“ gestartet, bei dem Bibliotheken der Begegnung und dem Austausch dienen sollen. Wie geht das, ohne dass es zu Konflikten mit Nutzern kommt, die beim Lesen ihre Ruhe wollen?

Das ist in der Tat schwierig. In einem modernen Bibliothekskonzept muss ich versuchen, Zonen zu bilden: Ich habe dann einen Bereich mit Einzelarbeitsplätzen, einen, wo man in Gruppen arbeiten kann, andere, wo Kinder spielen oder Games ausprobieren oder wo ich mit Technik arbeiten kann. Nicht alle Bibliotheken haben dafür die räumlichen Voraussetzungen, aber es gibt dafür kreative Konzepte: So kann man Zeiten festlegen, in denen es laut sein darf. 

Dr. Johannes Borbach-Jaene, Direktor der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund. Foto: privat

Dr. Johannes Borbach-Jaene, Direktor der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund. Foto: privat

In fünf anderen Bundesländern gibt es bereits ein Bibliotheksgesetz. Wäre das auch gut für NRW?

Ein Bibliotheksgesetz steht im Koalitionsvertrag der Landesregierung. Bibliotheken werden bislang im Kulturbereich verortet, sind aber auch eine Bildungseinrichtung und haben eine soziale Aufgabe, weil Menschen bei uns Angebote nutzen, die sie zu Hause nicht haben. Daher ist es sinnvoll, in einem Gesetz zu beschreiben, was Bibliotheken eigentlich sind und warum es gut ist, sie zu haben. Was die Zukunft angeht, ist es wichtig zu sehen: Wie kann das Land, obwohl das eigentlich eine kommunale Aufgabe ist, die Bibliotheken unterstützen? Ein Beispiel: Wir brauchen für alle Bibliotheken Breitbandanschlüsse, so wie Schulen sie jetzt bekommen. Was nützt mir WLAN, wenn sich drei Leute anmelden und das Internet in die Knie geht? 

Interview: Martin Zehren

Ein Artikel aus dem WESTFALENSPIEGEL 02/2019

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