„Cringe“ ist das Jugendwort des Jahres
„Cringe“ ist das Jugendwort des Jahres. Was das Wort bedeutet und warum der Sprachwissenschaftler Dr. Nils Uwe Bahlo von der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster (WWU) die Wahl gelungen findet, hat er uns im Interview erklärt.
Herr Bahlo, helfen Sie uns – was bedeutet „cringe“?
Das Wort kommt aus dem Englischen und bedeutet eigentlich „zusammenzucken“. Aber es hat in der Sprache vieler Jugendlicher zusätzlich zu dem beschriebenen körperlichen Zustand, den es beschreibt, noch eine semantische Bedeutungserweiterung erfahren: Es steht für „fremdschämen“.
Ist „cringe“ als Jugendwort des Jahres eine gute Wahl?
Ich finde schon. Im vergangenen Jahr stand „cringe“ schon einmal zur Wahl und landete auf dem zweiten Platz. Offensichtlich hat es viele Jugendliche erreicht, das war bei den zur Wahl stehenden Jugendworten der vergangenen Jahre nicht immer so.
Ist eine solche Wahl sinnvoll?
Darüber lässt sich natürlich immer streiten. Wichtig erscheint mir aber, dass eine solche Wahl einen positiven Nebeneffekt haben kann. Es wird über Sprache und die Entwicklung der Sprache gesprochen. Vielleicht wird ja aus Anlass der Wahl des Jugendwortes auch in der Schule über Jugendsprache diskutiert.
Gibt es überhaupt so etwas wie Jugendsprache?
Ich würde eher davon sprechen, dass Spielarten der Sprache gibt, die sich Jugendliche zu eigen machen. Man kann beobachten, dass verschiedene Gruppen ihre eigenen Spielarten entwickeln. Da gibt es Computernerds, Skater oder Punks. Man kann nicht „die“ Jugendsprache lernen. Es sind eher verschiedene Stile, die man an- und ablegen kann.
Woher kommen spezielle Begriffe in der Jugendsprache?
Dafür sind Einflüsse aus anderen Sprachen verantwortlich. Ganz früher waren das zum Beispiel Latinismen, also Wörter aus dem Lateinischen, später hatte dann das Französische großen Einfluss auf die Sprache. Heute sind es vor allem Anglizismen, die Einzug in die Sprache der Jugendlichen halten.
Und warum nutzen die Jugendlichen besondere Wörter?
Es ist cool, sich anders auszudrücken als Erwachsene das tun. Das machen die Jugendlichen aber nicht primär, um sich von den Erwachsenen abzugrenzen. Es ist vielmehr eine Solidarisierung untereinander.
Interview: Jürgen Bröker, wsp
Dr. Nils Uwe Bahlo vom Germanistischen Institut der WWU arbeitet unter anderem zu Jugendsprachforschung, elektronisch vermittelter Kommunikation, Sprachreflexion und -kritik.