„Daran kommt jeder vorbei“
Professor Bernd Schlipphak von der Universität Münster ist Wahlkampfexperte. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL erklärt der Politikwissenschaftler, worauf es im Wahlkampf ankommt und warum Plakate immer noch ihre Wirkung haben.
In wenigen Tagen wird gewählt. Wie wichtig ist die letzte Phase im Wahlkampf?
Die Parteien versprechen sich einiges davon, auch auf den letzten Metern noch Wahlkampf zu machen. Das ist auch sinnvoll. Man muss zusehen, dass möglichst viele Menschen ihre Stimme abgeben. Auch diejenigen, die sich noch nicht sicher sind, wen sie wählen wollen, kann man in den letzten Tagen vor der Wahl noch gut erreichen.
Die Spitzenkandidaten zeigen sich vor allem in großen Städten. Lohnt sich Wahlkampf in ländlichen Räumen nicht?
Natürlich müssen die Parteien auch auf dem Land präsent sein. Man kann ja nicht ganze Landstriche vernachlässigen. Aber Land versus Stadt ist eigentlich auch nicht die richtige Frage. Wichtiger ist die Frage: Wie eng waren die Ergebnisse bei vorangegangenen Wahlen? Und wo verspreche ich mir mehr von meinem Auftritt? Je sicherer der Wahlkreis, desto weniger lohnt sich möglicherweise der Wahlkampf. Je umkämpfter, desto eher sollte ich auch Präsenz zeigen.
Wie beurteilen Sie den Wahlkampf bisher?
Ein guter Wahlkampf mobilisiert zunächst die eigene Wählerklientel. Außerdem spricht er unentschiedene Wähler anderer Parteien an, noch auf die eigene Seite zu wechseln. Dazu müssen aber neben den Kandidaten auch klare Positionen deutlich werden, die die eigene Partei von allen anderen abgrenzen. Das scheint mir aber auch in diesem Jahr nicht optimal zu sein. Unter dem Strich ist der Wahlkampf damit aus meiner Sicht noch weniger polarisierend als die Wahlkämpfe vorangegangener Wahlen.
Wurden die richtigen Themen gesetzt?
In meiner Wahrnehmung stehen die eher traditionellen Themen weiter im Vordergrund: Steuererhöhungen und generell soziale Verteilungsfragen. Die Digitalisierung und der Klimawandel werden zwar ab und zu genannt. Vernachlässigt wurde dabei aber aus meiner Sicht, dass diese Themen auf die sozialen Verteilungsfragen große Auswirkungen haben. In der Verknüpfung der traditionellen und neuen Themen wäre daher die Chance für die Parteien gewesen, sich hinsichtlich der großen Problemen der Zukunft noch stärker zu positionieren und sich damit voneinander abzugrenzen.
Es hat mehrere Trielle mit den Spitzenkandidaten gegeben. Eine gute Idee?
Solche Duelle oder Trielle dienen überwiegend dazu, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. Es gibt aber auch Forschung, die zeigt, dass durch Trielle auch Unentschlossene für die eigene Partei gewonnen werden können. Ob dies aber in den drei Triellen gelang, bleibt abzuwarten. Einerseits deuten die über alle Trielle hinweg sehr einheitlichen Bewertungen darauf hin, dass vor allem politisch interessierte Menschen diese Formate geschaut haben. Die haben oft schon ihre Meinung gebildet und wissen, wen sie wählen wollen. Andererseits könnte dieses relativ einfache Format der Politikvermittlung und vor allem die Nachberichterstattung über mögliche Sieger und Verlierer der jeweiligen Trielle auch einen Einfluss auf unentschlossene Zuschauer gehabt haben.
Welchen Einfluss haben Umfragen auf den Wahlkampf?
Sie werden auf jeden Fall wahrgenommen. Und im Fall von Armin Laschet haben sie auch etwas bewirkt. Ohne die steigenden Umfrage-Werte für die SPD bei gleichzeitig sinkender Zustimmung für die CDU hätte es den Strategiewechsel vor dem zweiten Triell wohl nicht gegeben. Plötzlich spielten Warnungen vor einem Linksrutsch eine große Rolle, sollte die SPD am Sonntag stärkste Kraft werden.
Plakate, Hausbesuche, Marktplatzbesuche – die traditionellen Mittel des Wahlkampfes stehen trotz Twitter und Facebook hoch im Kurs. Zu Recht?
Auf jeden Fall. Diese Mittel sind immer noch sehr wirkungsmächtig. Sie signalisieren nach außen, dass bald Wahlen sind, an denen man sich auch beteiligen sollte. Auf Plakaten können die Parteien zudem eigene Kernthemen platzieren. Daran kommt jeder vorbei. Twitter- oder Facebook-Botschaften kann ich leichter ignorieren.
Interview: Jürgen Bröker