Inge Trame, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gütersloh, und die Gütersloher Altbürgermeisterin Maria Unger. Foto: Stadt Gütersloh
20.02.2023

„Das Amt war eine große Freude“

Ob es um das Bürgermeisteramt oder den Stadtrat geht – Frauen sind in der Kommunalpolitik vielerorts nach wie vor in der Minderzahl. Die Städte Detmold, Arnsberg, Gütersloh, Minden und Lippstadt wollen dies ändern. Eine Studie und eine Veranstaltungsreihe sollen Erkenntnisse, aber auch Diskussionsstoff rund um das Thema bieten. 

Maria Unger ist eine Pionierin in Sachen Engagement in der Kommunalpolitik. Von 1994 bis 2015 war sie Bürgermeisterin der Stadt Gütersloh. Zunächst im Ehrenamt und ab 1999 als hauptamtliche Verwaltungschefin. Gemeinsam mit der Gütersloher Gleichstellungsbeauftragten Inge Trame spricht sie im Interview über die Frage, warum Engagement sich lohnt.

Frau Trame, fünf mittelgroße Städte in Ost- und Südwestfalen engagieren sich für das Thema „Frauen in der Kommunalpolitik“. Was gab den Anstoß?
Inge Trame: In Gütersloh liegt der Anteil von Frauen bei Ratsmitgliedern und sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern im Rat seit Jahren bei ungefähr einem Drittel und aktuell bei 39 Prozent. Das reicht uns nicht. Daher wollen wir Erkenntnisse sammeln, was Frauen und Männer bewegt, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren und was sie vielleicht auch davon abhält. Gleichzeitig geht es uns um eine Signalwirkung. Oft heißt es nämlich, dass man solche Projekte eher in Großstädten umsetzen kann, aber nicht im ländlichen Raum. Wir wollen deutlich machen, dass gerade die kleineren Kommunen gute Orte für Frauen sind, um sich zu engagieren. In der Verwaltung und in der Stadtgesellschaft gibt es kurze Wege und im Austausch oft einen kurzen Draht.

Frau Unger, warum sind Sie in die Politik gegangen?
Maria Unger: Ich war bereits seit 1982 Mitglied der SPD, aber wenig aktiv. Ich habe eher in Bürgerinitiativen oder in der Schulpflegschaft mitgearbeitet. Dann ging es  konkret darum, dass wir im Stadtteil eine Ampel installieren wollten, um den Schulweg der Kinder sicherer zu machen. Das war im Austausch mit den Landesbehörden ein langwieriger Prozess, aber ich habe erfahren, dass ich mit Engagement etwas bewegen kann. Die Ampel steht noch heute an der Straße.

Und wie wurden Sie dann Bürgermeisterin?
Unger: Als sachkundige Bürgerin und später Mitglied im Stadtrat habe ich erfahren, welche Freude es macht, sich in neue Themen einzuarbeiten. Schließlich wollte ich auch an den Schalthebeln sitzen, um in unserer Stadt etwas bewegen zu können. Das Amt als Bürgermeisterin war für mich sehr bereichernd. Viele Menschen sind mit ihren Anliegen an mich herangetreten, ich habe mich mit vielen unterschiedlichen Themen auseinandergesetzt. So habe ich meine und unsere Stadt Gütersloh eigentlich erst richtig kennengelernt.

Tauschten sich in Detmold zu Frauen in der Kommunalpolitik aus: (von links) Kerry Prior, Maria Unger, Simone Bercht, Gabriele Diekötter, Inge Trame, Ingrid Hollenhorst, Bürgermeister Norbert Morkes, NRW-Gleichstellungsministerin Josefine Paul, Ines Böhm, Verena Ahnepohl, Dr. Helga Lukoschat von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, und Sara Pérez de Siles Fernández. Foto: Torben Gocke

Tauschten sich in Detmold zu Frauen in der Kommunalpolitik aus: (von links) Kerry Prior, Maria Unger, Simone Bercht, Gabriele Diekötter, Inge Trame, Ingrid Hollenhorst, Bürgermeister Norbert Morkes, NRW-Gleichstellungsministerin Josefine Paul, Ines Böhm, Verena Ahnepohl, Dr. Helga Lukoschat von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, und Sara Pérez de Siles Fernández. Foto: Torben Gocke

Eines der Umfrageergebnisse in der Studie zeigt, dass der Rückhalt in der Familie eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für ein Amt spielt. War das bei Ihnen ebenfalls so?
Unger: Ich habe lange mit meiner Familie über die Kandidatur beraten. Schließlich war bereits das Ehrenamt als Bürgermeisterin praktisch ein Vollzeitjob. Später im Hauptamt war ich bis zu 70 Stunden pro Woche im Einsatz. Das war damals nur möglich, weil meine Kinder zu Beginn meines Hauptamtes schon 22 und 19 Jahre alt waren und mein Mann mir den Rücken freigehalten hat.

Wurde das Amt denn manchmal auch zur Last?
Unger: Grundsätzlich war das Amt für mich immer eine große Freude. Trotzdem gab es Momente, in denen ich Zweifel hatte, zum Beispiel nach langen Sitzungen mit unsachlichen Beiträgen. Da musste ich mir manchmal auch mit Hilfe einer Glocke Gehör verschaffen und das eine oder andere Ratsmitglied zur Ordnung rufen. Aber ganz ehrlich: wenn ich am nächsten Morgen wieder ins Rathaus gegangen bin, mich dort mit Kolleginnen und Kollegen ausgetauscht habe, dann war die Freude wieder da.

Frau Trame, welche Erkenntnisse der Studie nehmen Sie für Ihre Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte mit?
Trame: Die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und dann eben zusätzlich einem Ehrenamt in der Kommunalpolitik bewegt viele Frauen – und Männer übrigens auch. Gute Vorbilder und die Vernetzung untereinander sind dafür ganz wichtig. Überdies wirkt die Arbeit im Stadtrat auf viele Bürgerinnen und Bürger zunächst verwirrend. Hier sind Einführungen wichtig, zum Beispiel zur Frage, wie der Haushalt einer Kommune funktioniert oder auch, wie man eine Sitzungsvorlage liest. Vor allem aber hat die Studie in Gütersloh und in den anderen beteiligten Städten bereits für viel Diskussionsstoff gesorgt. In den Ratsfraktionen wurde und wird über die Ergebnisse beraten. Genau das haben wir uns gewünscht!

Frau Unger, was geben Sie heute, rund acht Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik, an junge Frauen weiter?
Unger: Zunächst einmal spüre ich bei vielen Frauen ein großes Interesse an der Kommunalpolitik, aber es mangelt zwischen Familie und Beruf häufig an Zeit. Trotzdem werbe ich dafür, dass sich Frauen ein Amt oder auch eine Führungsposition in der Verwaltung zutrauen und dort etwas bewegen. Manchmal gehört auf dem Weg dorthin aber auch die Erfahrung des Scheiterns dazu. Im Titel des Vortrags der Schweizer Frauenrechtlerin Zita Küng, die am 2. März in Gütersloh zu Gast ist, heißt es: „Hingefallen – aufgestanden – Krone gerichtet – weitergemacht.“ Dieses Motto trifft es sicherlich gut.

Interview: Annette Kiehl, wsp

In Detmold, Arnsberg, Gütersloh, Minden und Lippstadt finden rund um den Internationalen Frauentag am 8. März  Veranstaltungen zum Thema „Frau.Macht.Politik“ statt. Am Donnerstag, 2. März, von 17 bis 19 Uhr zum Beispiel im LWL-Klinikum in Gütersloh. Dort heißt es im Auftaktvortrag „Hingefallen – aufgestanden – Krone gerichtet – weitergemacht“ mit der Schweizer Frauenrechtlerin Zita Küng. Anmeldung bei der VHS Gütersloh per E-Mail (vhs@guetersloh.de) oder telefonisch unter 05241/822925.

Lesen Sie hier auch ein Interview aus unserem Archiv mit Eva Irrgang, der einzigen Landrätin in NRW.

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