„Das ist ein enormer Bruch“
Ulrich Melzer ist Pfarrer der Evangelischen Studierendengemeinde Bielefeld. Im Interview mit dem WESTFALENPSIEGEL spricht er über Sorgen und Nöte von Studierenden in der Pandemie und erklärt, warum er die jungen Leute bewundert.
Suchen in der Pandemie mehr Studierende bei Ihnen Hilfe?
Teils, teils. Wir haben nicht unbedingt mehr Anfragen. Denn jeder sucht sich in dieser Situation sein Unterstützungssystem. Viele sind da ganz schnell wieder bei den Eltern und im alten Umfeld. Und das reicht dann auch. Andere haben es da schwerer.
Zum Beispiel?
Als Evangelische Studierendengemeinde sind wir sehr stark international ausgerichtet. Vor allem internationale Studierende wenden sich häufiger an uns. Vielen von ihnen ist die finanzielle Grundlage weggebrochen. Dazu muss man wissen, dass es sehr viele gibt, die sich komplett über Jobs finanzieren. Das sind häufig einfache Jobs zum Beispiel in der Gastronomie. Diese sind fast alle weggefallen. Daher hatten wir viele Anfragen auch nach finanzieller Unterstützung. Das Programm „Brot für die Welt“ der evangelischen Kirche springt da unter bestimmten Voraussetzungen ein.
Was macht der Lockdown mit den jungen Menschen?
Zwischen 18 und 28 passiert unter normalen Umständen Wesentliches: Ich entscheide mich für ein Studium, ich verlasse das Elternhaus, ich lerne vielleicht jemanden kennen, mit dem ich eine erste längere Beziehung, vielleicht sogar die Beziehung fürs Leben eingehe, eine Familie gründe. Von diesen Sachen geht das meiste jetzt nicht. Man muss sich das mal bewusst machen: viele von den Studierenden sind noch gar nicht im Studium angekommen. Wer zum Sommersemester zum Beispiel ins dritte Semester kommt, hat bisher lediglich Online-Semester kennengelernt. Seit fast einem Jahr sind die Hochschulen geschlossen, so lange wie kaum eine andere Einrichtung.
Vereinsamen die Studentinnen und Studenten auch?
Für diejenigen, die nicht wieder bei ihren Eltern wohnen, sondern in ihrer Studentenbude weit weg von zuhause sind, ist das in der Tat ein Problem. Sie suchen wirklich den analogen Kontakt, den es jetzt aber kaum geben kann. Vor Corona hatten wir wöchentliche Treffen. Für internationale Abende wurde bereits ab 14 Uhr gekocht für ein gemeinsames Abendessen. Es gab ein analoges Erleben von Gemeinschaft. Das kann man nicht durch ein Zoom-Meeting ersetzen. Trotzdem machen wir auch digitale Angebote.
Welche sind das?
Wir haben zum Beispiel eine WhatsApp-Gruppe, die heißt „Gemeinsam durch diese Zeit“, Gottesdienste werden gestreamt, es gibt wöchentliche Zoomtreffen. Im Herbst konnten wir noch Radtouren anbieten. Dazu kommen Andachten auf Facebook und unserer Homepage. Wir wollen trotzdem für die jungen Menschen da sein. Wir wollen Kontakt halten und weiter umeinander wissen. Denn seelisch ist das gerade eine große Herausforderung für die Studentinnen und Studenten.
Wie nehmen Sie die jungen Menschen wahr?
Ich bewundere sie und ihre innere Stärke. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, was normalerweise in diesem Alter los ist. Eigentlich ist das das Alter des Aufbruchs und plötzlich sitzt man wieder im Kinderzimmer. Das ist ein enormer Bruch. Da ist schon Krise, dennoch versuchen die jungen Menschen sich untereinander zu stützen. Das beeindruckt mich.
Interview: Jürgen Bröker/wsp
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