Kinobetreiber Ansgar Esch vor dem Schlosstheater in Münster. Foto: © H. Riahi, Film und Medienstiftung NRW
05.11.2020

„Das ist wirklich brutal“

Ansgar Esch betreibt gemeinsam mit seinem Bruder Anselm insgesamt vier Kinos in Münster und Paderborn. Eine Krise wie in diesem Jahr hat er noch nicht erlebt. Im Interview spricht er über die Folgen und darüber, was ihn dennoch optimistisch stimmt. 

Herr Esch, wie haben Sie als Kinobetreiber das Corona-Jahr erlebt?
Ansgar Esch: 2020 ist ein nie dagewesenes, herausforderndes und extrem frustrierendes Jahr. Das ist besonders bitter, weil 2019 ein gutes Jahr war und wir auch 2020 zunächst  einen sehr guten Jahresstart hatten.

Sie hatten 2020 eigentlich einen Grund zum Feiern.
Das stimmt. Wir sind jetzt mit dem Cineplex seit 20 Jahren in Münster. Vor Corona hatten wir nicht einen einzigen Tag geschlossen. Es war ein komisches Gefühl, als der Lockdown im Frühjahr kam und wir die Türen abschließen mussten. Das dunkle Kino zu sehen, hat sehr geschmerzt. Und jetzt mussten wir erneut abschließen.

Mit welchen Folgen?
Zunächst muss man wissen, dass alle Kinobetreiber extrem hohe Fixkosten haben. Die Immobilien kosten Geld, ganz gleich, ob man Pächter oder Eigentümer ist. Unser Geschäftsmodell basiert auf permanentem Umsatz. Der bricht uns nun zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres komplett weg. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir bereits jetzt einen Verlust von über drei Millionen Euro im Betriebsergebnis.

Wie haben Sie versucht, die Verluste im ersten Lockdown zu kompensieren?
Wir haben schnell ein Autokino auf die Beine gestellt. Das haben wir rund drei Monate lang angeboten. Außerdem gab es Open-Air-Vorführungen im Sommer. Und wir haben einen Lieferdienst für Popcorn, Nachos und so weiter auf die Beine gestellt. Das machen wir jetzt auch wieder.

In welche Corona-Schutzmaßnahmen haben Sie investiert?
Am aufwändigsten war die Umstellung des Kassensystems. Wir mussten es nach dem ersten Lockdown so programmieren lassen, dass wir flexibel auf Neuerungen bei der möglichen Auslastung der einzelnen Säle reagieren können. Wie viele Plätze müssen frei bleiben? Können die Daten der Besucher direkt erfasst werden? Solche Fragen mussten wir beantworten. Das war ein enormer finanzieller Aufwand. Aber es hat funktioniert. Vor Corona lag der Online-Anteil der verkauften Karten bei rund 50 Prozent, zuletzt haben wir 90 Prozent unserer Tickets kontaktlos ausgegeben. Zusätzlich haben wir in Spuckschutzwände und Handdesinfektion investiert.

Ein leerer Kinosaal im Münsteraner Cineplex. Foto: Ina Esch Fotografie

Ein leerer Kinosaal im Münsteraner Cineplex. Foto: Ina Esch Fotografie

Hat sich der Aufwand gelohnt?
Wir wollten mit unserer Wiederöffnung in erster Linie zeigen: Wir sind wieder da! Unsere Gäste haben uns das auch bestätigt. Vor allem Familien waren froh, dass sie wieder ins Kino gehen konnten. Auch für unsere Mitarbeiter war das wichtig. Trotzdem: Wenn man dauerhaft nur 20 Prozent der Sitze an Besucher vergeben darf, gleichzeitig aber 100 Prozent der Energiekosten hat, kann man sich leicht ausrechnen, dass ein solches System keinen Gewinn abwirft. Ein Beispiel: Unser kleinster Saal hat eigentlich 50 Plätze. Zuletzt durften dort acht bis zehn Gäste hinein. Wenn man mit acht Leuten ausverkauft ist, dann funktioniert das nicht.

Haben Sie finanzielle Hilfen erhalten?
Es ist bisher nur bedingt Hilfe angekommen. Die angekündigte Unterstützung hört sich gut an, was am Ende dabei herauskommt, ist leider aber oft ernüchternd. Schnelle Hilfen mit finanzieller Unterstützung gab es für unser Cinema und das Schlosstheater von verschiedenen Filmförderungen. Was die Ankündigungen der Bundesregierung zum Ausgleich für den November-Lockdown angeht, bin ich skeptisch.

Weshalb das?
Es wird ja immer über eine Erstattung von 75 Prozent der Einnahmen aus dem November 2019 gesprochen. Diese Zahl gilt aber nur für Kleinunternehmen. Für uns sind maximal 58 Prozent möglich, da wir mehr als 50 Mitarbeiter haben – auch weil wir viele Kolleg*Innen gehalten oder nach dem ersten Lockdown wieder eingestellt haben. Zudem ist noch nicht klar, an welche Bedingungen die finanziellen Hilfen gebunden sind. Daher wäre ich schon positiv überrascht, wenn wir tatsächlich 20 Prozent erhalten würden.

Glauben Sie an eine Öffnung der Kinos im Dezember?
Natürlich planen wir zunächst einmal damit. Wir spielen aber auch das Worst-Case-Szenarien durch. Uns ist vor allem klar, dass wir eine Normalität hinsichtlich Auslastung und Filmversorgung vermutlich erst wieder im kommenden Sommer erleben. Den Sommer erreichen viele Häuser aber nur, wenn tatsächlich Hilfen kommen. Sonst ist die Liquidität aufgebraucht und viele Kinos müssen schließen.

Filmstarts werden verschoben. Was bedeutet das für die Branche?
Das ist wirklich brutal. Vor allem, wenn die Starts wichtiger Filme wie Disneys „Mulan“ nicht nur verschoben wurden, sondern gleich ganz zu Streaming-Diensten gewandert sind. Auch die Verschiebung des neuen Bond-Streifen schmerzt sehr, nicht zuletzt, weil der uns sicher rund 1,5 Millionen Euro Umsatz beschert hätte. Nach der Wiederöffnung, die hoffentlich im Dezember möglich sein wird, benötigen die Kinos starke Filme. Allerdings leiden aktuell auch die Filmproduktion und die Filmverleiher unter der Situation. Da stellt sich schon die Frage, welche Filme wir zur Verfügung haben werden, wenn es wieder losgeht.

Bleiben Sie dennoch optimistisch?
Wir waren ja im Oktober wieder auf einem guten Weg. Auch das letzte Wochenende vor der Schließung war gut besucht. Das hat uns gezeigt, dass die Besucher uns vertrauen. Darauf setzen wir.

Interview: Jürgen Bröker

Der Beitrag wurde zuerst Anfang November 2020 veröffentlicht.

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