Ein kleiner Punkt im blauen Meer: André Wiersig hat die "Ocean´s Seven" durchschwommen. Foto: Dennis Daletzki
07.10.2019

Der Ozeanmann

André Wiersig hat als erster Deutscher die Ocean´s Seven geschafft: Sieben Meerengen hat der Paderborner nur mit Badehose, Badekappe und Schwimmbrille bekleidet durchschwommen. Außerdem ist er vom Festland aus nach Helgoland geschwommen, ebenfalls ein Rekord. Nun musste er auf den Seychellen wegen zu hohen Wellengangs seinen Versuch, 50 Kilometer zwischen zwei Inseln im Indischen Ozean zu schwimmen, abbrechen. Wir haben den Mann, der keine schwimmerische Herausforderung scheut, vor einiger Zeit porträtiert. Unseren Archivbeitrag lesen Sie hier noch einmal:

Bevor André Wiersig in die Wellen steigt, legt er alles ab. Auch die Angst bleibt an Land. Nur Badehose, Badekappe und eine Schwimmbrille – mehr trägt er nicht. Dann geht es raus aus der Komfortzone der Zivilisation ins offene Meer. André Wiersig ist Familienvater, hat einen Job bei einer Hamburger IT-Firma und ist Extremschwimmer. Er hat die Grenzen des eigentlich Machbaren verschoben – mehr als einmal. Denn der Paderborner hat die „Ocean´s Seven“ geschafft. Eine Herausforderung, bei der die Athleten sieben Meeresstraßen auf fünf Kontinenten durchschwimmen. Wiersig ist der erste Deutsche und der 16. Mensch überhaupt, dem das gelungen ist. 

Am 9. Juni dieses Jahres kraulte er von Gibraltar nach Afrika. Für die 14,4 Kilometer benötigte der 47-Jährige vier Stunden und 17 Minuten. Es war die letzte, aber auch die emotionalste Strecke. In einem Video, das er unmittelbar danach auf seinem Facebook-Profil veröffentlichte, sagte er: „Da gehen einem die ganzen Gedanken durch den Kopf. Es war zum Schluss ganz schön emotional. Ich habe die ganze Brille vollgeheult.“

Der Startschuss für seine Schwimmen fiel meist in der Nacht. Foto: Dennis Daletzki

Der Startschuss für seine Schwimmen fiel meist in der Nacht. Foto: Dennis Daletzki

Gibraltar war der Abschluss eines Projekts, das etwa sechs Jahre gedauert und mehr als 120.000 Euro verschlungen hat. Begonnen hat die lange Reise in einem Frühjahrsurlaub an einem Strand auf Ibiza. „Das Mittelmeer ist dann so kalt wie der Ärmelkanal, 15 Grad“, sagt Wiersig. Er hatte tatsächlich Angst zu schwimmen. Es war zu kalt. Eine Boje in 200 Metern Entfernung, zu der er im Sommer problemlos geschwommen sei, war an diesem Tag für ihn unerreichbar. Wiersig fasste einen Entschluss: Er würde wiederkommen und zu dieser Boje schwimmen. Zur Vorbereitung duschte er fortan nur noch mit kaltem Wasser. Ein Jahr später kehrte er zurück nach Ibiza und schwamm zur Boje hinaus.

Akribische Vorbereitung

Irgendwann erinnerte er sich auch daran, wie fasziniert er als Junge im Schulunterricht von den Schwimmern war, die durch den Ärmelkanal geschwommen sind. Besonders vom ersten Menschen, der das 1875 geschafft hat, Captain Matthew Webb. Jetzt wollte er das auch versuchen. Im September 2014, nach monatelanger Vorbereitung, stieg Wiersig in England in den Ärmelkanal und schwamm los. Nach 33,2 Kilometern und neun Stunden und 43 Minuten stieg er in Frankreich aus dem Wasser.

Es war der Startschuss für seine Ocean’s Seven. Bei dem Wettbewerb müssen die Athleten auf jeder der sieben Strecken die gesamte Zeit im Wasser schwimmen. Lediglich ein Begleitboot ist dabei, mit einem Offiziellen an Bord, der die Einhaltung der Regeln überprüft. Von dort werden auch Nahrung und Getränke gereicht. Bei André Wiersig hat das sein Schwager Jürgen übernommen. „Ohne ihn hätte ich das nicht geschafft. Er hat mich auf allen Reisen begleitet und unterstützt“, sagt er. 

Wiersig hat sich auf die einzelnen Strecken akribisch vorbereitet. An vielen Wochenenden zog er ganze Nächte lang Bahnen in einem Paderborner Bad, nachdem er schon ein intensives Krafttraining hinter sich hatte. Am Morgen saß er dann mit frischen Brötchen am Frühstückstisch. Denn das war Teil des Deals mit seiner Frau und den beiden Kindern: Die Zeit mit der Familie sollte nicht zu kurz kommen.

Training in der Regentonne

Um sich auf die Kälte vorzubereiten, kaufte er sich eine Regentonne. Im Winter hatte das Wasser darin nur knapp über null Grad. Wiersig setzte sich trotzdem hinein. Er ging nachts allein in den Wald, um sich der Dunkelheit auszusetzen. Denn auch im Meer würde er in der Nacht schwimmen müssen. 2015 durchquerte der Paderborner den Kaiwi-Kanal vor Hawaii. Es ist die längste Teilstrecke, 45 Kilometer Ozean liegen zwischen den Inseln dort. Dabei kam er zwischendurch innerhalb von fünf Stunden nur fünfhundert Meter voran. Eigentlich ist Wiersig in der Lage, über einen langen Zeitraum etwa vier Kilometer in der Stunde zu schwimmen. Doch Strömung und Wellengang hielten ihn fest. Nach mehr als 18 Stunden erreichte er trotzdem das Land auf der anderen Seite.

Doch es hätte auch anders ausgehen können. Denn der Schwimmer geriet in einen Schwarm „Portugiesischer Galeeren“, einer hochgiftigen Quallenart. Tentakel dieser Tiere erwischten ihn am Arm. Die Schmerzen seien zunächst so groß gewesen, dass er gedacht habe, der Arm sei abgebissen worden, erzählt er. Aufgegeben hat er nicht.

Trotz dieser Erfahrungen ist er dem Ozean nicht böse. Im Gegenteil. „Ich bin dankbar, dass ich als Mensch da draußen sein durfte. Ich habe mich immer nur als Gast gesehen. Und das Meer und seine Bewohner haben mich immer gut behandelt“, sagt er. Haie haben ihn begleitet, ein riesiger Buckelwal ist eine Zeit lang unter ihm getaucht. In Japan stieg er aus dem Wasser und blickte einem Seelöwen in die Augen. Und vor Kalifornien schwamm er durch leuchtendes Plankton wie durch eine Zauberwelt. In solchen Momenten habe er die ganze Energie gespürt, die vom Ozean ausgehe, schwärmt Wiersig.

Buch über Erlebnisse geschrieben

Andre Wiersig mit Erik Eggers: „Nachts allein im Ozean. Mein Weg durch die Ocean’s Seven“. Verlag Eriks Buchregal, Kellinghusen, 160 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-9818798-2-7

Umso mehr hat er sich manchmal für seine eigene Spezies geschämt, weil diese nicht gut mit den Meeren umgehe. Er ist gegen eine Holzpalette in Plastikmülls geschwommen. Als ihn im dunklen Wasser nachts eine Plastiktüte berührte, „habe ich vor Panik geschrien“, sagt er. Wiersig engagiert sich für die Deutsche Meeresstiftung, hält Vorträge vor Schulklassen. Dabei will er aber nicht die Verschmutzung der Ozeane zeigen, sondern ihre Schönheit. „Die müssen wir bewahren.“

Was ihn angetrieben hat, die sieben Meerengen zu durchschwimmen? Mag sein, dass es auch die Vorstellung war, der erste Deutsche zu sein, der es schaffen könnte. Doch wer sich mit André Wiersig unterhält, spürt auch die ehrliche Faszination für den Ozean. „Ich bin einfach gerne da draußen“, sagt er. Die Kraft des Meeres zu spüren, die Schönheit und den Frieden – das ist einfach sein Ding.

Um andere daran teilhaben zu lassen, hat Wiersig ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben – gemeinsam mit dem Journalisten Erik Eggers. „Nachts allein im Ozean“, heißt es. Eine Vorstellung, die den meisten Menschen Angst macht. Nicht so André Wiersig. Ihn zieht es immer noch möglichst oft dort hinaus. 

Jürgen Bröker, wsp

Das Porträt ist aus Heft 5/2019 des WESTFALENSPIEGEL.

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