„Der Ton wird rauer werden“
Der Bochumer SPD-Europaabgeordnete und Diplomat Dr. Tobias Cremer erklärt im Interview, was der Wahlsieg Donald Trumps für Europa, Deutschland und die Region bedeutet.
Herr Dr. Cremer, Donald Trump wird der nächste US-Präsident. Was bedeutet das für Europa?
Jetzt gilt umso mehr, dass wir in Europa Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen müssen. Einige Tendenzen, die wir bereits unter Obama beobachtet haben, werden sich unter einem Präsident Trump verstärken. Dazu zählt, dass die USA nicht mehr in erster Linie auf Europa fokussiert sind. Vielmehr orientiert man sich verstärkt in Richtung China und Indopazifik. Gleichzeitig gibt es laute Rufe nach einer gerechteren Lastenverteilung in der Sicherheitspolitik, zum Beispiel in Sachen Ukraine. Das wäre sicherlich auch unter einer Präsidentin Harris der Fall gewesen, mit Trump an der Spitze wird der Ton aber rauer werden. Deshalb gilt: Je geschlossener und handlungsfähiger Europa auftritt, desto attraktiver sind wir als Partner für die Vereinigten Staaten und andere Länder. Diese Lektion sollten wir gelernt haben.
Der rechtspopulistische Präsident Ungarns, Viktor Orbán, zählte zu den ersten Gratulanten Donald Trumps. Sind solche Kräfte nun im Aufwind?
Das hängt vor allem davon ab, ob Trump in Europa als Spaltpilz wirken wird, gerade wenn eben Rechtspopulisten wie Orbán versuchen, die EU von innen zu schwächen und Allianzen mit Trump zu schließen, die gegen das gesamteuropäische Interesse gehen. Einmal mehr wird also entscheidend sein, dass in der EU eine möglichst große Einigkeit herrscht.
Welche Konsequenzen wird der Wahlsieg Trumps für NRW haben?
Viele Unternehmen in der Region haben enge Handelsbeziehungen mit den USA. Sie wären die Leidtragenden von Handelsbarrieren und höheren Zöllen, die Trump im Wahlkampf angekündigt hat. Sicher ist: Als Präsident wird er ohne Rücksicht auf alte Beziehungen die Themen umsetzen, die vermeintlich in seinem eigenen Interesse sind. Wir stehen nun vor der Herausforderung ihm klar zu machen, dass ein Handelskrieg weder Europa noch den USA dienen würde.
„Gerade jetzt muss der Austausch gestärkt werden“
Sie selbst haben in den USA studiert und geforscht. Wird das in Zukunft weiterhin möglich sein?
Ich hatte das große Glück, dass ich als Erster in meiner Familie mit Unterstützung von Stipendien in andere Länder gehen konnte. Eine wertvolle Erfahrung. Umso mehr wünsche ich mir, dass solche Programme gerade jetzt gestärkt werden, sodass es weiterhin einen lebendigen Austausch gibt. Wenn die Beziehungen zwischen Regierungen nicht mehr so selbstverständlich funktionieren, wie wir es gewohnt sind, dann wird der Austausch beispielsweise in der Wissenschaft, zwischen Städten oder auch durch andere Initiativen und Vereine umso wichtiger.
Eine Frage noch zum zurückliegenden Wahlkampf: Wenn selbst die Unterstützung von Stars wie Taylor Swift und Bruce Springsteen den Demokraten nicht zum Sieg verhelfen kann, was ist da schiefgelaufen?
Bei aller Popularität solcher Stars – vielleicht hat dieses Aufgebot Kamala Harris nicht unbedingt geholfen. Es hat im Gegenteil vielleicht sogar noch den Narrativ der Republikaner befeuert, die die Demokraten als moralisierende Hollywood-Partei und als abgehoben darzustellen versuchen. Donald Trump hingegen präsentierte sich im Wahlkampf als Fürsprecher des kleinen Mannes, obwohl dessen Pläne ganz klar in eine andere Richtung zielen.
Was können wir in Deutschland daraus lernen?
Politiker und Parteien sollten die Bodenhaftung behalten. Nicht predigen und moralisieren, sondern hinhören, was Menschen vor Ort, ob in Bochum oder in vielen anderen Städten und Dörfern, konkret bewegt. Und dann diese Probleme lösen. Das macht nun ausgerechnet die US-Wahl einmal mehr deutlich.
Interview: Annette Kiehl, wsp