Die Finnin Eija-Liisa Ahtila zeigt „Horizontal“ – ein 80 Meter breites und 12 Meter hohes Videoporträt einer sich im Wind wiegenden Fichte. Foto: Angela von Brill
22.10.2021

Der Traum vom Fliegen

Das „lichtsicht“-Festival in Bad Rothenfelde feiert den Restart. Pandemiebedingt musste es unterbrochen werden, nun geht der Kunstparcours im Kurpark weiter.

Aus dem Helikopter hat der Berliner Künstler Julius von Bismarck bei den Feuerwehreinsätzen während der Waldbrände in Kalifornien gefilmt. Seine in der Mitte gespiegelten Zeitlupen-Aufnahmen zeugen zwar von der Zerstörungskraft der Naturgewalten, lassen in der Katastrophe aber auch eine Schönheit erkennen, die den Betrachter gleichermaßen verstört und fasziniert. „Fire with Fire“ gehört zu den beeindruckendsten Arbeiten der „lichtsicht 7“ in Bad Rothenfelde, dem weltweit einzigartigen Forum internationaler Projektionskunst.

Das wegen der Pandemie unterbrochene Festival soll nun bis zum 20.02.2022 laufen. 25 Künstlerinnen und Künstler präsentieren allabendlich ihre Werke auf den insgesamt 10.000 Quadratmeter großen soleberieselten Schwarzdornwänden der beiden Gradierwerke im Kurpark.

Eine sich im Wind wiegende Fichte

Vor 14 Jahren wurde die „lichtsicht“ von dem Galeristen Paul Anczykowski und dem Unternehmer Heinrich W. Risken ins Leben gerufen, der das hochkarätige Lichtkunst-Festival auch sechs Mal im Zweijahresrhythmus finanziert hat. 2020 ist aus der Biennale eine Triennale geworden, die aus öffentlichen Mitteln gefördert wird. Kurator der siebten „lichtsicht“ ist der tschechisch-deutsche Medienkünstler Prof. Dr. Michael Bielicky. „Die Projektionen verdeutlichen politische, ästhetische und philosophische Positionen, sind von hohem künstlerischen Wert, dabei aber oft spielerisch und thematisieren aktuelle Zeiterscheinungen“, sagt er.

Julius von Bismarck - Fire with Fire Foto: Angela von Brill

Julius von Bismarck – Fire with Fire Foto: Angela von Brill

Ebenso wie Julius von Bismarck hat sich die Finnin Eija-Liisa Ahtila mit der Urgewalt der Natur auseinandergesetzt. „Horizontal“ ist das 80 Meter breite und 12 Meter hohe Videoporträt einer sich im Wind wiegenden Fichte. Um den Baum in seiner natürlichen Größe zeigen zu können, musste er in fünf Teilen gefilmt werden; seine horizontale Ausrichtung zeigt, wie schwierig es ist, ein Naturobjekt unverzerrt medial aufzuzeichnen.

Datengesteuerte Kunst

Höllenqualen lässt die Chinesin ihr eigenes Abbild in ihrer Arbeit „Delusional Crime and Punishment“ erleiden: In einem Horror-Szenario hinterfragt sie religiöse Vorstellungen von Sünde und Bestrafung, indem sie sich immer wieder selbst zerstört. Inspiriert von dem ewigen Traum vom Fliegen ist die interaktive Installation „Eternal Dream“ von Simon Weckert und Philipp Weiser: Springt der Betrachter in einem vordefinierten Bereich in die Höhe, beginnt sein Körper als dreidimensionale Punktwolke die Naturleinwand hochzufliegen.

Auf der 312 Meter langen Projektionsfläche des Neuen Gradierwerkes wechseln sich drei renommierte Lichtkünstler ab. Unter dem Titel „Fall Again, Fall Better“ hat Jeffrey Shaw am Computer 20 Gruppen menschlicher Figuren modelliert, die eine nach der anderen in sich zusammenfallen, um sich danach wieder aufzurichten. Die Arbeit von Refik Anadol zeigt auf beeindruckende Weise, wozu datengesteuerte Kunst imstande ist: Für „Bosphorus“ hat er eine künstliche Meeresoberfläche erschaffen, die auf den Radarbewegungsdaten des staatlichen türkischen Wetterdienstes beruht. Sechs Gedichte in verschiedenen chinesischen Kalligraphiearten bringt Dongling Wang in Echtzeit auf die schwarze Dornenwand – es scheint, als würde man ihm beim Schreiben zusehen.

Regina Doblies

Dieser Beitrag stammt aus Heft 6/2020 des WESTFALENSPIEGEL.

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