Noch lässt die Digitalisierung in den Archiven auf sich warten. Foto: Pixabay
18.03.2021

Digitales als Herausforderung

Ein Schwerpunkt des 72. Westfälischen Archivtages war die Familienforschung. Zum ersten Mal wurde er digital durchgeführt. Ein Format, das auch Chancen bietet, sagt LWL-Chefarchivar Dr. Marcus Stumpf im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL. Die Digitalisierung der Archive wird aber noch dauern, prognostiziert er.

Der Westfälische Archivtag wurde zum ersten Mal rein digital durchgeführt – wie fällt Ihr Fazit aus?
Sehr gut, wir haben eine ganze Reihe positiver Rückmeldungen bekommen. Wir hatten rund 350 Teilnehmende, darunter Kolleginnen und Kollegen aus Bayern, Baden-Württemberg oder Sachsen, die sonst kaum nach Westfalen gereist wären. Das ist ein Superergebnis! Insofern profitieren wir sogar: die virtuelle Teilnahme ist eben vergleichsweise einfach. Überrascht hat mich besonders, dass die Diskussionen im Anschluss an die Referate sehr lebhaft waren. Eine Frage im Chat zu stellen, kosten viel weniger Überwindung als zum Saalmikrofon zu gehen! Aber ganz klar: Es fehlt die persönliche Begegnung und das direkte, spontane Gespräch!

Ein wichtiges Thema war die Familienforschung. Wie gefragt ist sie?
Die Familienforschung ist an sich schon lange beliebt. Der große Aufschwung der letzten 20 Jahre hat mehrere Gründe. In den 1980er und 1990er Jahren war es viel schwieriger, weil es nur analoge Hilfsmittel und – auch das gehört zur Wahrheit ­– wenig Unterstützung für Familienforscherinnen und -forscher in den Archiven gab. Man muss leider sagen, dass sie in den Archiven oft als Benutzer zweiter Klasse behandelt wurden. Was für die ältere Archivarsgeneration zählte, war eben praktisch nur die wissenschaftliche Forschung. Von daher haben sich seinerzeit eher nur Enthusiasten auf den steinigen Weg zum eigenen Stammbaum gemacht haben.

LWL-Chefarchivar Dr. Marcus Stumpf. Foto: privat

LWL-Chefarchivar Dr. Marcus Stumpf. Foto: privat

Das ist heute anders?
Ja. Den entscheidenden Aufschwung hat der technologische Fortschritt gebracht: Man kann mit elektronischen Recherchen in genealogischen Datenbanken und in den Onlinefindmitteln der Archive heute unendlich viel mehr familiengeschichtliche Informationen zusammentragen und erhält in den Archiven in der Regel mehr Unterstützung als früher. Dazu trägt auch bei, dass Interessierte bestens organisiert sind, die Westfälische Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung ist das beste Beispiel dafür. Dort gibt es sehr gute Hilfestellung.

 

Wie unterstützen die Archivare bei der Recherche zu Vorfahren? 
Die Archive versuchen ihre Findmittel zunehmend online zu stellen und die Archivarinnen und Archivare helfen auch bei der Quellensuche. Man muss ja erstmal wissen, in welchen Archiven welche personengeschichtlichen Quellen zu finden sind. Und der Service der Archive reicht oft sehr weit: Die Archivalien dürfen in vielen Archivlesesälen entweder selbst fotografiert werden oder es gibt einen Scanservice.

Wo liegen die Grenzen?
Ganz klar in der Erschließung: Die Hoffnung mancher Anfragenden, dass man nur den Familiennamen in den Suchschlitz der Archivdatenbank eingeben müsste, um alle Belege ausgeworfen zu bekommen, werden enttäuscht. Kein Archiv kann das Archivgut so detailliert erschließen. Das einzige, was das Archiv tun kann, ist, entsprechende Quellen zu digitalisieren und ins Netz zu stellen. Aber in den digitalisierten Quellen zu recherchieren, heißt auch, dass man die alten Schriften entziffern lernen muss. Die automatische Schrifterkennung für Handschriften steckt noch in den Kinderschuhen. Und ohne diese gibt es keine Volltextrecherche.

Welche Informationen werden heute für zukünftige Generationen gespeichert?
Eine wichtige Frage! In der Tat ist es ja die Hauptaufgabe der Archive, heute auszuwählen und zu archivieren, was in der Zukunft interessant sein wird. Und bei der Auswahl tragen die Archive auch den Interessen der genealogisch Interessierten Rechnung, indem sie zum Beispiel von den Standesämtern nicht nur die Personenstandsregister wie Geburten-, Heirats- und Sterberegister übernehmen, sondern auch die dazu geführten Sammelakten.

Wie sehr hilft dabei die Digitalisierung?
Die Digitalisierung ist enorm wichtig und vereinfacht die Arbeit der Archive, sie ist aber auch eine Riesenherausforderung. Denn wenn man Archivbestände digitalisiert, muss man die Digitalisate auch dauerhaft – im richtigen Format und in guter Ordnung – ablegen. Und Speicherplatz und Pflege elektronischer Daten gehen richtig ins Geld. Außerdem sind diese digitalen Aufgaben für die Archive praktisch ‚on top‘ gekommen. Die Verwaltungen haben in ihren Registraturen immer noch Unmengen an analogem Schriftgut und produzieren es weiter, wovon ein Teil irgendwann zu Archivgut wird. Das papierlose Büro gibt es noch lange nicht. Die digitale Transformation ist und bleibt aber das Zukunftsfeld schlechthin.

Interview: Jürgen Bröker/wsp

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