Dr. Kathrin Pieren leitet das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten. Sie stammt aus der Schweiz, hat italienische Sprache und Literatur studiert und in Geschichte promoviert. Zuletzt war sie Sammlungsleiterin am Jewish Museum London. Foto: Jüdisches Museum Westfalen
10.09.2020

„Die Leute haben Hunger auf Kultur“

Seit dem 1. Juli ist die Museumsfachfrau Dr. Kathrin Pieren die erste hauptberufliche Leiterin des Jüdischen Museums Westfalen in Dorsten. Ihr Vorgänger Dr. Norbert Reichling hatte das Haus zuvor ehrenamtlich geführt. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL spricht Pieren über Ihren Wechsel aus London und verrät, was sie in Dorsten vorhat.

Frau Pieren, wie war Ihr Start in Dorsten?
Als ich im Sommer angefangen habe, war das Museum zum Glück schon wieder geöffnet. Natürlich ist vieles unter Corona schwieriger, die Leute sind noch nicht so bereit, ins Museum zurückzukommen. Obwohl ich relativ zufrieden bin: Wir hatten im Sommer im Vergleich etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Besucher. In England sind die Zahlen selbst bei nationalen Museen teils schlechter. Wir haben schon erste Führungen, Vorträge und Ausstellungseröffnungen mit beschränkter Teilnehmerzahl veranstaltet, das hat sehr gut funktioniert. Es scheint, dass die Leute Hunger auf Kultur haben.

Das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten. Foto: Jüdisches Museum Westfalen

Das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten. Foto: Jüdisches Museum Westfalen

Kannten Sie zuvor das Jüdische Museum Westfalen?
Nein, gar nicht. Die jüdischen Museen in Europa sind zwar vernetzt, aber ich war in London „nur“ Sammlungsleiterin, da lernt man die anderen Museen nicht so gut kennen. Ich habe die Stellenausschreibung gesehen und mich dann erkundigt, was das für eine Stadt und für ein Museum ist. Das Museum in Dorsten ist zwar relativ klein, aber es macht unglaublich viel: Es hat eine neue Dauerausstellung, die auf Interaktion wert legt, regelmäßige Wechselausstellungen, ein gutes Vermittlungsprogramm und vielfältige Veranstaltungen von Konzerten über Vorträge bis hin zu Kindertheater. 

Warum haben Sie sich für den Wechsel von London nach Dorsten entschieden?
Ich war 17 Jahre lang in England – so lange hatte ich das nie geplant – und wollte jetzt wieder zurück nach Kontinentaleuropa, um näher bei meiner Familie zu sein. Aber auch, um noch einmal etwas Neues zu machen. Es hat mich sehr gereizt, ein jüdisches Museum zu leiten. 

Sie haben sich für Ihre Promotion mit jüdischen Museen in London beschäftigt. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Durch die Lektüre über den Holocaust habe ich als Teenager angefangen, mich für jüdisches Leben und jüdische Kultur zu interessieren. Ich habe Literatur von jüdischen Autoren gelesen, die das thematisieren, und war in jüdischen Museen zu Besuch. Für meine Masterarbeit in England und für meine Promotion habe ich dazu geforscht, wie jüdische Identität in Museen dargestellt wird. Und dann hatte ich das Glück, dass ich ans Jewish Museum London gekommen bin.

Was sind Ihre Pläne für das Dorstener Museum?
Wir haben uns jetzt erstmals mit dem ganzen Team getroffen, um eine Strategie für die nächsten Jahre zu diskutieren. Das ist einer der Gründe, warum meine Vollzeitstelle neu geschaffen wurde: damit sich das Museum nachhaltiger entwickelt. Und wir möchten noch bekannter werden in der Region und darüber hinaus, auch mit der Forschung zu jüdischer Geschichte in Westfalen, die hier stattfindet. Wir wollen durch spezielle Events sichtbarer werden, Angebote für ein breiteres Publikum machen und mehr Populärkultur berücksichtigen wie Popmusikveranstaltungen oder Filme mit jüdischem Fokus. Möglich wäre auch eine Ausstellung über Essenskultur: angefangen bei Speisegesetzen im jüdischen Glauben bis zu den Küchen in verschiedenen jüdischen Kulturen. Und im nächsten Sommer soll, falls wir die Finanzierung erhalten, ein Kulturprogramm mit jüdischen Nachwuchskünstlern bei uns stattfinden, die auch neuere Kunstformen wie digitale Kunst oder Performances zeigen. Langfristiges Ziel ist es, ein Museum zu schaffen, das man nicht übersehen kann.  

Interview: Martin Zehren, wsp

Aktuelle Ausstellung im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten: „…nach dem nördlichen Eismeer zu sehe ich noch eine kleine Tür.” Schiffswege Kulturschaffender ins Exil (1933–1941), bis 29. November 2020. Für 2021 ist eine Ausstellung über die Fotoreporterin Lotte Errell sowie eine Ausstellung über Provenienzforschung geplant. Weitere Informationen hier.

Lesen Sie auch im Bereich "Kultur"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin