Die Preise für Lebensmittel haben sich teilweise im Mai 2022 um elf Prozent erhöht. Foto: pixabay
07.06.2022

„Die Zeit stabiler Preise ist vorbei“

Wirtschaftsexperte Prof. Manuel Rupprecht von der FH Münster spricht im Interview über die Folgen der Inflation und über die Aussichten auf stabilere Preise.

Im Mai erhöhte sich die Teuerungsrate um fast acht Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat – steigen die Preise noch weiter?
Ja, die Entwicklung wird eine gewisse Zeit noch so weitergehen. Die Inflation wird allerdings in den kommenden Monaten an Dynamik verlieren. Wie stark die Preissteigerung abgebremst wird und wann das eintreten könnte, vermag ich aber nicht zu sagen. Gerade in diesen unsicheren Zeiten sind solche Prognosen sehr schwierig. Allein das vergangene halbe Jahr hat uns ja gezeigt, dass Ereignisse eintreten können, die solche Prognosen sehr schnell obsolet werden lassen.

Wie sehr muss uns die aktuelle Entwicklung tatsächlich beängstigen?
Das Spannende an der momentanen Situation ist folgendes: Die hohe Inflation trifft auf eine Bevölkerung, die es gar nicht mehr gewohnt ist, dass Preise auch deutlich steigen können. Das kennen wir seit mindestens 15 Jahre nicht mehr. Daher macht es den Menschen natürlich Angst. Aber eine Inflation per se ist erst einmal nicht angsteinflößend.

Dennoch: fast 40 Prozent Preissteigerung bei den Energiekosten und mehr als 11 Prozent im Lebensmittelbereich können einem schon Sorgenfalten auf die Stirn treiben.
Wegen dieser ganz erheblichen Preisentwicklung in bestimmten Segmenten ist die Inflation ja auch besonders im öffentlichen Bewusstsein. Die Bevölkerung muss sich meines Erachtens auch darauf einstellen, dass die Zeit der konstanten Preise der letzten 15 Jahre vorbei ist. Das wird bedeuten, dass Unternehmer, private Haushalte, Banken und Versicherungen bei ihren Überlegungen bedenken müssen, dass sich Preise verändern und steigen können.

Prof. Dr. Manuel Rupprecht ist Dekan der Münster School of Business und Professor für Volkswirtschaftslehre. Foto: FH Münster/Wilfried Gerharz

Prof. Dr. Manuel Rupprecht ist Dekan der Münster School of Business und Professor für Volkswirtschaftslehre. Foto: FH Münster/Wilfried Gerharz

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hat versucht, die Diskussion zu beruhigen, in dem sie sagte: Die hohe Inflation betreffe nur wenige Bereiche – hat sie recht?
Was Frau Lagarde in meinen Augen deutlich machen wollte, ist der Unterschied zwischen dem, was wir tatsächlich an Inflation messen, und dem, was wir fühlen. Sie hat also recht, wenn sie sagt, die Preise steigen nicht überall. Wir als Verbraucher nehmen aber vor allem die Preissteigerungen der Produkte wahr, mit denen wir jeden Tag konfrontiert werden: Energie, Lebensmittel. Das wird dann auch auf andere Bereiche übertragen. Sie ordnet also die Inflation ein. Aber sie verharmlost damit die Situation auch. Ich denke, dass die Dynamik von der Europäischen Zentralbank nicht rechtzeitig erkannt wurde.

Handelt die Politik in Deutschland richtig, um die Inflation zu bremsen?
Nein, sie macht sogar das Gegenteil von dem, was richtig wäre. Warum? Weil sie mit vollen Händen Geld ausgibt. Das führt zu Inflation. Allein die Bundesregierung nimmt in diesem Jahr 240 Milliarden Euro Schulden auf. Das mag alles gut begründet sein. Aber man muss sich auch klar machen, wenn der Staat mit so viel Geld aktiv wird und Nachfrage entfaltet, fördert dies Inflation und bremst sie nicht.

In Westfalen gibt es viele mittelständische Unternehmen, wie gehen diese mit der Entwicklung um?
Inflation führt schon heute zu steigenden Zinsen. Die Finanzierungskosten der Unternehmen haben sich deutlich verteuert. Das wird noch weitergehen. Vor allem wenn auch die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöht. Der Vorteil des Mittelstands hier in der Region ist, dass die Unternehmen ihre Eigenkapitalquoten in den vergangenen zehn Jahren erheblich erhöht haben. Damit ist die Abhängigkeit vom teurer werdenden Fremdkapital deutlich gesunken. Dennoch leiden die Unternehmen natürlich trotzdem unter den aktuellen Entwicklungen.

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Was empfehlen Sie Privatleuten, die Geld ansparen möchten?
Wenn man sein Geld auf dem Bankkonto lässt, ist das seit Jahren eine schlechte Idee. Wir sparen ja mit der Überlegung: Ich lege mir heute etwas zur Seite, damit ich mir morgen etwas mehr leisten kann. Das funktioniert mit Bankguthaben schon seit Jahren wegen der niedrigen Zinsen nicht mehr. Zusätzlich kommt jetzt noch die hohe Inflation hinzu. Besser sind Immobilien, Wertpapiere, Aktienfonds. Da gibt es auf lange Sicht noch positive Rendite, die zu Kaufkraftgewinnen führen. Das zeigen auch aktuelle Studien.

Wie optimistisch sind Sie, dass wir das Szenario bald hinter uns lassen?
Ich bin optimistisch, dass sich die Preissteigerungen bald abschwächen werden. Aber die Inflation wird in den 2020er Jahren eine wichtigere Rolle spielen als in den vergangenen 15 oder 20 Jahren. Das muss uns klar sein und ist ja auch teilweise gewollt. Wir verteuern zum Beispiel absichtlich durch den CO2-Preis die Energie. Dieser Preis wird weiter steigen und damit Inflation verursachen. So lassen sich noch weitere Ursachen finden, weshalb Inflation in den kommenden Jahren eine größere Rolle spielen wird. Aber es wird auch nicht die Rolle sein, die sie heute spielt mit sieben oder acht Prozent. Dennoch es kann durchaus sein, dass wir längere Zeit mit drei oder vier Prozent leben müssen.

Interview: Jürgen Bröker, wsp

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