Die aktuelle Sonderschau "Pest!" steht im Mittelpunkt der digitalen Führungen im LWL-Archäologiemuseum in Herne. Foto: LWL-AfW | Peter Jülich
26.03.2020

„Wie bei einer Netflix-Serie“

Die Museen der Region müssen wegen der Corona-Pandemie vorerst geschlossen bleiben. Viele haben darauf reagiert und ihr Online-Angebot ausgebaut. Auch das LWL-Archäologiemuseum in Herne. Westfalenspiegel.de hat mit der Museumsleiterin Dr. Doreen Mölders über die besonderen Herausforderungen gesprochen.

Wie haben Sie die ersten Wochen mit der Corona-Krise erlebt?
Doreen Mölders: Nachdem wir Anfang März entschieden haben unsere Museumsnacht abzusagen, die am 27. März stattgefunden hätte, ging es Schlag auf Schlag. Das führte dazu, dass wir zuerst alle Veranstaltungen bis einschließlich zum 17. April abgesagt haben. Und schon am Tag darauf haben wir das Museum zunächst bis zum 20. April geschlossen.

Wie haben Sie und Ihre Mitarbeiter reagiert?
Im Team kam sehr schnell – ich glaube, es war noch innerhalb der ersten Stunde nach Bekanntgabe der Schließung – der Gedanke auf: Wenn die Besucherinnen und Besucher nicht zu uns kommen können, dann bringen wir die Ausstellung zu ihnen nach Hause. Die Idee der Online-Führungen war dann naheliegend. Und jetzt sind wir schon mittendrin, das umzusetzen.

Wie sieht das aus?
Das ist in der Tat nicht ganz so einfach, wie man sich das vorstellt. Wir filmen mit ganz kleinem Equipment, also mit dem Smartphone und einem Mikrofon. Dann starten wir die Aufnahme und stellen ein bis zwei Objekte je Film vor. Das Ergebnis geht anschließend online und wird in den sozialen Netzwerken gezeigt.

Klingt ein wenig nach Learning-by-doing.
Das trifft es ganz gut, ja. Wir machen das ja auch mit dünner Personaldecke. Unsere Museumspädagogen kommen einzeln ins Museum – natürlich mit dem Fahrrad oder dem Auto, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln – und erklären ein einzelnes Exponat oder einen Teil der Ausstellung. Für uns ist das im Moment ein Experimentierfeld. Wir schauen, was geht, was kommt an, wie können wir neue Ideen entwickeln? Das funktioniert bisher aber sehr gut.

Dr. Doreen Mölders. Foto: smac/ Annelie Blasko

Dr. Doreen Mölders. Foto: smac/ Annelie Blasko

Was haben Sie und was wollen sie noch zeigen?
Einen Schwerpunkt legen wir auf unsere aktuelle Sonderausstellung zur „Pest“. Wir wollen vergleichen, wie unsere Gesellschaft heute aufgestellt ist, mit einer Seuche umzugehen, und wie war das vor 150 aber vielleicht auch vor 1000 oder 2000 Jahren. Welche Mittel hatte man damals zur Verfügung? Es gibt Highlightfilme, die sich mit einem besonderen Exponat befassen. Aber wir wollen auch eine Ausstellungsführung anbieten. Voraussichtlich in Etappen. Schließlich dauert diese Führung zwei Stunden. Das ist für einen Film dann vielleicht doch etwas zu lang. Wir werden den Film portionieren – wie bei einer Netflixserie (lacht).

Bieten Sie auch speziell für Kinder etwas an?
Auf jeden Fall. In unserem regulären Programm haben wir ja auch eine Führung für Vorschulkinder. Diese ist eigentlich sehr interaktiv. Jetzt fehlen uns dabei natürlich die Kinder. Also müssen wir kreativ werden. Wir werden kleine Videoschnipsel produzieren. Natürlich mit unserer Handpuppe, dem Maulwurf Kalle. Kalle lebt im Museum und kann das Haus jetzt auch nicht mehr verlassen. Er wird die Kinder auffordern, ihm Bilder zu schicken. Wir hoffen, damit auch die Eltern zu unterstützen, die ihre Kinder jetzt zuhause betreuen. Auch Online-Führungen für Schulklassen sind denkbar.

Die Digitalisierung war ohnehin ein großes Thema im LWL-Archäologiemuseum. Machen Sie jetzt notgedrungen einen großen Schritt nach vorne?
Man muss wissen, dass wir jetzt andere Inhalte präsentieren. Wir hatten bisher nie Online-Führungen angedacht. Das hat aber in erster Linie damit zu tun, dass wir an die Maßgaben der Leihgeber gebunden sind. Von den meisten Leihgebern erhalten wir die Freigabe für Pressebilder, aber nicht unbedingt für Videoaufnahmen von ihren Objekten. Aber das haben wir jetzt als erstes abgefragt. Postwendend kam wirklich von allen zurück, dass wir auch Videos zeigen dürfen. Das ist eine ganz neue Entwicklung. Eigentlich braucht so etwas Wochen – jetzt ging es innerhalb von zwei Tagen.

Blick in die Sonderausstellung "Pest!" im LWL-Archöologiemusuem. Foto: LWL-AfW | Peter Jülich

Blick in die Sonderausstellung „Pest!“ im LWL-Archöologiemusuem. Foto: LWL-AfW | Peter Jülich

Ihre eigenen Objekte der Dauerausstellung dürften sie aber ohnehin zeigen, oder?
Das stimmt, aber eigentlich war auch das so nicht geplant. Das hängt wiederum damit zusammen, dass wir die Besucher ja an unser Haus binden und sie in die Ausstellung holen möchten. Die Frage ist, ob uns das gelingt, wenn wir unsere Objekte im Internet kostenfrei zeigen.

Jetzt machen sie aber genau das.
Ja, und ehrlich gesagt, sehe ich das auch gar nicht so kritisch. Ich glaube nicht, dass die Besucher ausbleiben, wenn wir Ausstellungsstücke ins Netz stellen. Das Gegenteil ist wahrscheinlich sogar der Fall. Je mehr Präsenz man zeigt und je bekannter man wird, desto eher möchten die Menschen in Museum kommen und die Originale sehen.

Es wird also digitale Inhalte bei Ihnen im Museum weiterhin geben, wenn die Corona-Krise überstanden ist?
Auf jeden Fall. Ich finde ohnehin, dass man digitale und analoge Inhalte nicht mehr trennen sollte. Unsere Auftrag ist es, Archäologie und Geschichte auf Grundlage des kulturellen Erbes, das wir erhalten und verwalten, zu vermitteln. Ob wir das hier im Museum machen und oder im virtuellen Raum, darin besteht meines Erachtens kein großer Unterschied. Aber dafür wäre es auch wichtig, dass auch die virtuellen Besucher als Besucher gezählt werden.

Museen müssen Geld verdienen. Die digitalen Angebote sind aber kostenfrei. Wie geht das zusammen?
Durch unsere Arbeit und Präsentation im virtuellen Raum wollen wir die Menschen natürlich auf uns aufmerksam machen. Sie sollen dann zu uns kommen und die gesamte Ausstellung sehen. Aktuell haben wir eine Ausnahmesituation. Wir werden zukünftig sicher nicht sämtliche Inhalte virtuell und online zur Verfügung stellen, sondern nur Ausgewähltes. Es geht eher darum, den Menschen Lust auf die Ausstellung zu machen. Vielleicht auch Fragen zu hinterlassen, um einen Anreiz zu schaffen, ins Museum zu gehen. Wichtig ist vor allem aber auch, dass wir Hemmschwellen abbauen. Dabei können digitale Inhalte sicher helfen. Wir werden auch versuchen, den digitalen mit dem analogen Raum so gut es geht zu verknüpfen.

Kurator Dr. Stefan Leenen nimmt die Internetnutzer mit auf eine Online-Führung durch die Ausstellung. Hier sehen Sie eine gekürzte Fassung des ersten Teils der Ausstellungsführung.

Kurator Dr. Stefan Leenen nimmt die Internetnutzer mit auf eine Online-Führung durch die Ausstellung. Hier sehen Sie eine gekürzte Fassung des ersten Teils der Ausstellungsführung.

Wie kann das aussehen?
Wir haben eine Förderung von der Kulturstiftung des Bundes für ein Projekt erhalten, das bis 2023 umgesetzt werden soll. Vorgesehen ist eine Plattform, die im digitalen Raum zu begehen ist. Man kann sich das wie ein Online-Spiel vorstellen. Diese Plattform ist der virtuelle Ausgangspunkt für einen realen Museumsbesuch. Um also in dem Spiel weiter voranzukommen, muss man auch in das Museum gehen. An diesem Projekt sind neben uns auch noch das Deutsche Bergbaumuseum in Bochum und das LWL-Römermuseum in Haltern beteiligt. Bei uns sind zum Beispiel virtuelle Ausgrabungen denkbar.

Ihre aktuelle Sonderausstellung beschäftigt sich mit der Pest. Gibt es da eine Erkenntnis, die Sie hoffnungsfroh stimmt für uns heute im Umgang mit der Corona-Pandemie?
Ja, sicher. Zum einen haben sich die medizinischen aber auch die gesellschaftlichen Bedingungen seit dem letzten Auftreten der Pest so eklatant verändert, dass ich überhaupt keine Zweifel habe, dass wir da gut durchkommen. Die Erfahrungen zeigen zudem, dass sich eine Gesellschaft von einer solchen Seuche auch immer erholt. Das finde ich persönlich beruhigend. Was sich auch gut beobachten lässt: Die Maßnahmen, die jetzt zur sozialen Distanzierung und Quarantäne angemahnt sind, haben vor mehreren Hundert Jahren auch schon funktioniert. Und das werden sie jetzt auch.

Interview: Jürgen Bröker

Im neuen WESTFALENSPIEGEL, der Anfang April erscheint, lesen Sie mehr zum Thema „Museen unter Quarantäne“.

  • Mehr Videos aus der Serie „Pest auf Sendung“ finden Sie hier auf dem YouTube-Kanal des LWL-Archäologiemuseums in Herne.
  • Wie andere Kultureinrichtungen ihre Angebote digital aufbereiten, lesen Sie hier.

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