Ein Fest für den Frieden
Kann der Westfälische Friede von 1648 einen Ausweg aus dem Ukraine-Krieg weisen? In Hamm diskutierte Alt-Bundespräsident Christian Wulff mit Politikern und Experten über diese Frage.
Handlungsanweisungen liefert die Geschichte nicht. Das machte der Historiker Prof. (em.) Hans-Ulrich Thamer von der Universität Münster in seinem Vortrag zum Westfälischen Friede deutlich. Er nannte Erfolgsfaktoren der Verhandlungen vor 375 Jahren, darunter die Anerkennung von religiöser Vielfalt. Doch auch die finanzielle Ermattung und der Machtverlust im Zuge des 30-jährigen Krieges beförderten den Frieden, stellte Thamer fest.
Einen Eindruck vom Leben in der Ukraine, die seit mehr als anderthalb Jahren von Russland bombardiert wird, vermittelte die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum, die ebenfalls in Hamm zu Gast war. „Wir wollen den Frieden mehr als jeder andere“, sagte sie und betonte: „Die Voraussetzung ist Gerechtigkeit.“ Über den Wert des Friedens heute sprach Christian Wulff als Schirmherr der Jubiläumsfeier, die der Verein Westfalen e.V. ausgerichtet hatte. Mehr als 300 Gäste waren im Festsaal des Maximiliaparks mit dabei, darunter Abgeordnete, Vertreter von Kommunen, Justiz sowie interessierte Bürger. Der Alt-Bundespräsident hob die Bedeutung von Verhandlungen in politischen und kriegerischen Konflikten hervor. Hier könne man vom Friedensschluss 1648 lernen. Die Anerkennung von Vielfalt und Souveränität sowie das Prinzip der Toleranz seien Werte, die heute noch Europa auszeichneten. Solidarität mit der Ukraine sei daher für ganz Europa entscheidend. „Es geht um die Frage, ob das Recht des Stärkeren oder die Stärke des Rechts gilt“, so Wulff.
„Staatsbürger statt Staatsnutzer“
In einer Podiumsdiskussion traf der ehemalige Bundespräsident auf Vertreter aus Politik, Kommunen und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen. Die Frage, was die Gesellschaft dazu beitragen könne, Frieden zu erhalten, beschäftigte das Publikum wie auch Experten. NRW-Schulministerin Dorothee Feller betonte das Engagement für Demokratie- und Friedensbildung an Schulen, NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach sprach über gemeinsame Werte von Deutschland und der Ukraine. Dr. Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und Vorstandsvorsitzender der LWL-Kulturstiftung, forderte im Einsatz für Frieden und Demokratie mehr „Staatsbürger als Staatsnutzer. Wir müssen zeigen, dass es sich lohnt, sich zu engagieren.“ Dabei gehe es um die Mitarbeit in Parteien, aber auch um Zivilcourage in Situationen, wenn beispielsweise fremdenfeindliche Kommentare fallen, mahnte Wulff.
Die Bedeutung von Frieden wandelt sich, sagte der Historiker Prof. Thamer zum Abschluss der Diskussion in Hamm. Der Friedensschluss vor 375 Jahren passierte unter anderen Vorzeichen als sie heute gelten. In den 1960er Jahren war der Frieden durch Abrüstung das Gebot der Stunde. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine widerlegte diese Strategie „auf grausame Art“. Der Westfälische Friede biete somit keine Blaupause. „Aber man kann aus der Geschichte lernen“, so Thamer.
Annette Kiehl, wsp