Der früher weitverbreitete Dukaten-Feuerfalter ist in Westfalen. nur noch im Hochsauerland in großer Zahl zu finden. Foto: Imago / Funke Foto Services
02.10.2024

„Ein unwiederbringlicher Verlust“

Ob Äcker, Grünland oder Moore: Viele der natürlichen Lebensraumtypen in Deutschland sind in einem ökologisch schlechten Zustand. Das ist eins der Ergebnisse des jetzt veröffentlichten „Faktencheck Artenvielfalt“. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL (Ausgabe 2/2023) erklärt der Biodiversitätsexperte Prof. Thomas Fartmann von der Universität Osnabrück warum Artenschutz für uns so wichtig ist. 

Für den Faktencheck Artenvielfalt (FA) haben mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von 75 Institutionen und Verbänden die Erkenntnisse aus über 6000 Publikationen ausgewertet und in einer eigens dafür entwickelten Datenbank zusammengeführt. Das Ziel des Projekts ist es, das Wissen zur biologischen Vielfalt in Deutschland zusammenzufassen, den Zustand zu analysieren und Trends zu erkennen. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Die Vielfalt der Lebensräume nimmt ab. Populationen von Arten schrumpfen, verarmen genetisch oder sterben aus – mit direktem Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Funktionsweise von Ökosystemen. Stabile Ökosysteme sind wichtig, weil sie Menschen mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen versorgen, Nährstoffkreisläufe aufrechterhalten, das Klima schützen und das Wasser in der Landschaft halten, so die Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA), die den Faktencheck veröffentlicht hat. Mehr dazu lesen Sie hier,

Herr Prof. Fartmann, viele Insekten und andere Tier-, Pflanzen- und Pilzarten leiden darunter, dass wir ihre Lebensräume zerstören. Die Siedlungen wuchern, ständig neue Straßen, die letzte Wiese eine Maiswüste. Warum ist das ein großes Problem?
Ein gutes Beispiel dafür ist der Dukaten-Feuerfalter. Die Männchen sind leuchtend orange mit einem etwas breiteren schwarzen und einem ganz feinen weißen Rand an den Flügeln; die Weibchen etwas dezenter orange mit braunen Bändern und Punkten. Mit dieser Art hat sich in Deutschland keiner so intensiv beschäftigt wie wir. Früher war das ein weit verbreiteter Schmetterling.

Warum ist das heute anders?
Diese Art braucht ein Netz von Lebensräumen. Viele Falter verlassen die Wiesen, auf denen sie geschlüpft sind und suchen nach anderen Flächen. Wenn es die nicht gibt, verenden sie eben irgendwo, denn sie finden nicht zurück. Geht das über Jahre, kann so eine Population zusammenbrechen, weil zu viele Tiere verschwinden. Insbesondere auf der Winterberger Hochfläche und teilweise in der Medebacher Bucht geht es der Art noch relativ gut, weil es da noch ein relativ gutes Netz von mageren Lebensräumen gibt, wo Heide-Nelke oder Arznei-Thymian wachsen oder Sauerampfer, an denen die Weibchen ihre Eier ablegen und an dem die Raupen später fressen. Das sind Wegränder oder Wiesen mit wenig Nährstoffen, die kaum gedüngt werden. Wenn wir uns aber das Tiefland anschauen: Da ist die ganze Landschaft intensiv gedüngt.

Wenn es weniger Insekten gibt, leiden darunter auch Vögel wie der Haussperling. Foto: Nils Schulte-Jokiel

Wenn es weniger Insekten gibt, leiden darunter auch Vögel wie der Haussperling. Foto: Nils Schulte-Jokiel

Die ganze Landschaft, nicht nur Äcker? Wo kommt der Dünger her?
Das ist Stickstoff aus der Luft. Und zwar reaktiver Stickstoff, den die Pflanzen auch aufnehmen können. Das meiste davon stammt aus der Massentierhaltung. Jeder kennt das: Was da neben einem Schweinestall so stinkt, ist der Ammoniak, eine Stickstoffverbindung, aus der Gülle entweicht. Der Wind weht das Gas fort, der Regen spült es auf den Boden, und die Pflanzen nehmen den Stickstoff daraus auf. An zweiter Stelle stehen Abgase aus Verkehr und Kraftwerken. Vor allem Regionen mit Massentierhaltung und Ballungsräume und ihre unmittelbar benachbarten Gebiete sind darum betroffen. In Mittelgebirgsregionen wie der Winterberger Hochfläche ist das deutlich weniger.

Inwiefern ist der Dukaten-Feuerfalter repräsentativ?
Er ist extrem repräsentativ für das Gros der Tagfalter. Im Tiefland in Nordrhein-Westfalen ist die Tagfalterfauna komplett verarmt.

Prof. Dr. Thomas Fartmann forscht an der Universität Osnabrück zur Biodiversität und Landschaftsökologie. Foto: Uni Osnabrück / Jens Raddatz

Prof. Dr. Thomas Fartmann forscht an der Universität Osnabrück zur Biodiversität und Landschaftsökologie. Foto: Uni Osnabrück / Jens Raddatz

Was bedeutet der Artenschwund für die heimische Natur und für unsere Gesellschaft?
Wenn ich keine Insekten habe, muss ich mich nicht wundern, wenn Fledermäuse oder Vögel verschwinden. Artenvielfalt hat aber einen Nutzen an sich: Artenreiche Ökosysteme sind viel resistenter und resilienter gegenüber extremen Wetterereignissen wie Dürreperioden. Die machen ihnen weniger zu schaffen. Und wenn doch, erholen sie sich besser. Denn: Wenn ich viele Arten habe, dann gibt es immer ein paar, die trotz der extremen Bedingungen überleben. Was in Biotopen mit wenig Arten passiert, sehen wir gerade in den Fichtenforsten im Sauerland, oder was davon übrig geblieben ist. Ganze Bergketten sind jetzt kahl. In einem Mischwald mit heimischen Arten wäre das nicht in dem Maße passiert.

Wie fördern denn Insekten die Resistenz solcher Flächen?
Nehmen sie die Eichenprozessionsspinner, die immer wieder in Massen auftauchen. Da sagt man: „Ach Gott, der Klimawandel, es wird immer wärmer. Die Prozessionsspinner breiten sich aus.“ Ein Grund, dass er sich so schnell ausbreiten kann, ist: Sie haben viel weniger Fressfeinde als früher.

Warum?
Punkt eins: Die Vogelwelt verarmt. Die Kohlmeise ist noch häufig, aber beispielsweise der Kuckuck mit seinem Appetit auf haarige Raupen ist rar geworden. Der Wiedehopf ist seit Jahrzehnten praktisch ausgestorben. Oder Käfer wie der Große Puppenräuber. Vor dem Zweiten Weltkrieg war er noch weit verbreitet. Inzwischen ist er in Deutschland extrem selten. Denn man hat bis in die 70er Jahre im Wald intensiv Insektengifte versprüht, insbesondere gegen den Maikäfer. Darunter haben natürlich die Insekten insgesamt gelitten. Der Große Puppenräuber ist aus unseren Wäldern komplett verschwunden. In den Pyrenäen hingegen sind in der Dämmerung die Stämme voll mit ihm. Da gibt es auch Eichenprozessionsspinner. Aber nirgends in Massen, weil die Gegenspieler das verhindern. In Deutschland gehen Städte und Gemeinden jetzt mit viel Geld gegen Eichenprozessionsspinner vor.

Wie kriegen wir den Großen Puppenräuber zurück?
Das ist ein sehr mühsamer Prozess. Denn er breitet sich nur sehr langsam aus, der schafft keine Riesendistanzen. Wenn dann auch noch eine Straße auf die nächste folgt … Auf Kalkmagerrasen im Diemeltal in Ostwestfalen, da gehen wir mit umgebauten Staubsaugern auf die Flächen und saugen Insekten ein. Auf den Flächen, die wir wiederherstellen wollen, entleeren wir sie, um so die Insekten zu übertragen. Große Insekten wie den Puppenräuber könnte man sogar von Hand sammeln und auf eine neue Fläche bringen.


Dieser Beitrag ist zuerst in Heft 2/2023 des WESTFALENSPIEGEL erschienen. Möchten Sie mehr lesen? Gerne senden wir Ihnen zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht es zum Schnupperabo.


Ist den Menschen der Wert der Artenvielfalt ausreichend bewusst?
Ich glaube nicht. Bienen und Bestäubung sind ja immer in den Medien, aber das ist eben nur die Spitze vom Eisberg. Nehmen wir medizinische Anwendungen: Viele Präparate, die in der Medizin verwandt werden, stammen von Pflanzen. Jedes Jahr werden neue entdeckt, gerade in den Tropen. Das ist ein Potenzial, das wir beim besten Willen noch nicht ausgeschöpft haben – nicht einmal in Westfalen. Noch vor 100, 150 Jahren gab es ein viel größeres Wissen darüber, für welche Zwecke sich welche Pflanzen eignen, gegen welche Krankheiten Leute sie einsetzten. Die Natur ist die beste Apotheke. Da schlummert wahnsinnig viel. Jede Art, die ausstirbt, ist ein unwiederbringlicher Verlust.

Interview: Joachim Budde

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