30.10.2020

„Ein weltweites Phänomen“

Prof. Dr. Walter Grünzweig lehrt Amerikanische Kultur und Literatur an der Technischen Universität Dortmund. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL spricht er über die Trump-Jahre, die Chancen des Herausforderers und den neuen Einfluss der Evangelikalen.

Herr Prof. Grünzweig, wird die Ära Trump bald beendet sein, so wie Umfragen es vorhersagen?
Ich halte eine Prognose für schwierig, weil die Umfragen nicht auf die neuen Wählerschichten ausgerichtet sind. Die Umfragewerte werden sich nicht mehr ändern, aber die Umfragen zu dieser Frage sind nicht verlässlich. Viele Leute geben nicht gerne zu, dass sie einen Rechtspopulisten wählen und einige Bürger werden gar nicht über Umfragen erreicht. Sie heben ihr Telefon nicht ab, wollen nicht an Umfragen teilnehmen oder stehen gar nicht auf der Liste der Demoskopen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Leute aus dem Trump-Lager früher gar nicht an Wahlen teilgenommen haben. Politik hat sie nicht interessiert, sie waren vielleicht frustriert oder sie hielten das Ganze einfach für schmutzig. Viele Evangelikale gehören zu der Gruppe. Das sind etwa 30 Prozent der Wähler, die nun doch wählen gehen und häufig ihre Stimmen für Trump abgeben. Das muss man sich mal vorstellen – extrem religiöse Menschen, die für Trump stimmen! Das erfordert komplexes theologisches Denken: Gott schickt Amerika einen sündigen Menschen, um es auf den rechten Pfad zu führen. Vor allem um die Abtreibung wieder abzuschaffen.

Jedenfalls haben die Umfrager mit so was ihre Schwierigkeiten. Eine ähnliche Entwicklung beobachte ich auch bei rechtspopulistischen Parteien in Deutschland und Europa. Es gibt also keinen Grund für uns, gegenüber den Amerikanern arrogant zu sein. Das ist ein weltweites Phänomen.

Übrigens bereitet auch das Wahlsystem Beobachtern Kopfzerbrechen.  In den USA gewinnt nicht unbedingt der Kandidat, der die meisten Stimmen erhält; Hillary Clinton gewann ja mit einer Mehrheit von fast 3 Millionen Stimmen in der „popular vote“. Aber häufig hängt das Ergebnis davon ab, wie einige wenige Staaten abstimmen. Das ist Hillary vor vier Jahren zum Verhängnis geworden, als Staaten wie Pennsylvania und Michigan, also das Ruhrgebiet der USA, knapp für Trump stimmten. Und so was könnte für die Demokraten auch dieses Mal zum Problem werden.

Prof. Dr. Walter Grünzweig. Foto: privat

Prof. Dr. Walter Grünzweig. Foto: privat

Ist Biden ein schwacher Kandidat?
Das finde ich nicht. Er war der, der die meisten Wählergruppen ansprechen konnte. Auch wenn Bidens Vorsprung in den Umfragen keine sichere Prognose zulässt, so ist die Situation etwas anders als vor vier Jahren. Joe Biden erhält große Unterstützung von führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Es gibt eine unglaubliche Mobilisierung – nicht aus Begeisterung für ihn, sondern um Trump zu verhindern.

Biden hat die Fähigkeit, Menschen zu erreichen, auch in Staaten wie Michigan, Pennsylvania oder Wisconsin. Er ist kein großer Redner und rhetorisch nicht perfekt wie Obama, aber er spricht die Sprache der einfachen Leute, wenn auch nicht den populistischen Dialekt. Er war Vize-Präsident unter Obama und kann daher auch die Afro-Amerikaner erreichen.

Würde Trump eine Wahlniederlage überhaupt anerkennen?
Trump könnte eine Niederlage vor sich selbst  – und vor der Nation – nur schwer zugeben. So wie seine Persönlichkeit strukturiert ist, kann er nur sagen, dass ein Ergebnis, das ihn als Verlierer zeigt, nicht stimmt. Es wäre dann seiner Wahrnehmung nach eine „Fake-Election“. Ich habe große Angst, dass Trump in einer solchen Situation rechte „Bürgerwehren“ mobilisieren könnte, wie er es in der ersten Debatte schon angedeutet hat. Die existieren schon seit vielen Jahren, aber nun glauben einige von ihnen, ihre Zeit sei gekommen.

Man darf auch eine andere Motivation nicht vergessen, die vor allem seine Familie im Auge haben dürfte: Ohne Schutz des Präsidentenamtes kommt er vielleicht in rechtliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten – der Berlusconi-Effekt. Viele vermuten, dass seine Bankkonten wesentlich weniger prall gefüllt sind, als er immer behauptet.

Können die USA vier weitere Jahre Trump aushalten?
Ich halte diese Vorstellung für extrem düster. Ich bin in den vergangenen Jahren nicht in die USA geflogen, weil ich diese Atmosphäre nicht erleben wollte. Ich beobachte enge Freunde und Kolleginnen aus den Staaten, die verzweifelt sind über die politische Situation. Wenn ich denen Mut zusprechen möchte, sagen sie: Du hast leicht reden, Ihr habt ja die Merkel. Aber natürlich: Amerika würde auch vier weitere Jahre unter Trump aushalten. Die Welt geht weiter, so irgendwie halt, auch die Neue.

Interview: Annette Kiehl, wsp

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