
Eine Ära geht zu Ende
Xin Peng Wang schuf in Dortmund 21 Jahre lang das „Ballettwunder“. Am 19. Juni verabschiedet sich der Choreograph mit „La Bayadère“.
Der Teufel schwenkt mitten in einer goldgehörnten Partygesellschaft ein Europafähnchen: Tanz auf dem Vulkan, kühle Schau auf das Alte und ein offener Blick auf das Kommende – das war „Faust“ von Xin Peng Wang am Ballett Dortmund. Arbeiten wie „Faust“ und die „Dante-Trilogie“ sind das Beste, was Wang Dortmund gegeben hat: Ballett mit dem Anspruch, kreativ und technisch vorne mitzuspielen, das klassische Bewegungstradition öffnet und digitale Kunstformen einbezieht. Zum Ende der Spielzeit nach 21 Jahren verlässt der 68-Jährige das Haus. In mehr als 40 Produktionen entwickelte Wang sein Profil: klassisch bis neoklassisch, das Zeitgeschehen bearbeitend anhand großer Fragen: Entwickeln wir uns zum optimierten Menschen? Wo verläuft die Grenze zwischen angenehmer Illusion und Weltflucht? Dafür baute Wang eine junge Truppe auf und ergänzte sie vor zehn Jahren durch das NRW-Juniorballett, das heute Absolventen großer internationaler Ballettschulen anzieht.
Weltweite Gastspiele
Schnell sprach man vom „Dortmunder Ballettwunder“. Vor 20 Jahren gründeten sich die Ballettfreunde Dortmund. Politik und Sponsoren wurden überzeugt. 2008 wurde das Ballett eigene Sparte. Heute zählt es 24 Mitglieder, hinzu kommen 19 Gäste. Pro Saison stemmt es bis zu 45 Vorstellungen; 2003 waren es weniger als die Hälfte. Hinzu kommen weltweite Gastspiele. Die Aufführungen im Haus erreichen eine Auslastungsquote von 99 Prozent. Eine steile Entwicklung im Vergleich zu mageren 43 Prozent vor 21 Jahren. Die Erfolgsgeschichte gelang auch, weil Wang seine Ambition mit dem Wunsch des Publikums nach Ballettästhetik verband. 2024 verlegte er in „La Bayadère“ die Geschichte über eine indische Tempeltänzerin ins Hollywood der Monumentalfilmära. Es ist zwar deutlich weniger radikal als frühere Arbeiten, dafür ein Ausstattungsballett, das Wangs letzter Spielzeit Glanz verleiht. Doch sein Markenzeichen bleiben die Literaturballette wie der „Zauberberg“ oder „Der Traum der Roten Kammer“.
Dieser Artikel ist in Heft 2/2025 des WESTFALENSPIEGEL erschienen. Möchten Sie mehr lesen? Gerne senden wir Ihnen zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht es zum Schnupperabo.
Wang ist ein Netzwerker. Bei den Ballettgalas stehen seine Tänzer zweimal im Jahr neben Stars vom Londoner Royal Ballet oder dem Petersburger Mariinsky-Theater. Gäste wie die Spanierin Lucia Lacarra brachten regelmäßig Glamour in hauseigene Produktionen. Man hat Wang vorgeworfen, dass solche Stars den Zenit ihrer Karrieren hinter sich hatten, wenn sie nach Dortmund kamen, doch interessant zu beobachten war die Wirkung prominenter Gäste auf die Dortmunder Truppe: Die ließ sich sichtbar anstacheln und mitreißen. Der letzte Ballettabend unter Wang ist dem Juniorballett gewidmet: In dem Dreiteiler „Dips“ zeigt es in Werken von Marco Goecke und Nadav Zelner Witz und technische Vielfalt. Wang selbst greift in dem Kurzballett „Saturn“ die Ästhetik seiner Dante-Arbeit auf. „Dips“ wird bis Juni abwechselnd mit „La Bayadère“ und dem rauschhaften „Mittsommernachtstraum“ von Alexander Ekman gespielt. Die Ballettgalas am Ende der Spielzeit sind längst ausverkauft. Wangs Nachfolger, Jaš Otrin mit den Artists in Residence Annabelle Lopez Ochoa und Edward Clug, treten ein großes Erbe an.
Edda Breski
Die letzte Vorstellung von „La Bayadère“ findet am 19. Juni im Dortmunder Opernhaus statt. Es gibt noch Restkarten!