„Eine der spannendsten Wahlen“
Am 15. Mai wählt NRW ein neues Landesparlament. In den kommenden Wochen berichtet der WESTFALENSPIEGEL im Rahmen einer Serie regelmäßig über relevante Themen zur Landtagswahl. Den Auftakt macht ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Prof. Norbert Kersting von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Herr Kersting, in gut sechs Wochen sind Landtagswahlen – was sind die wichtigsten Themen, die auf der Agenda der Parteien für NRW stehen?
Theoretisch müssten die Themen im Vordergrund stehen, bei denen die Länder besondere Kompetenzen haben. Klassischer Weise sind das – und so sieht es das Grundgesetz ja auch mit dem Bezug auf die Kulturhoheit der Länder auch vor – Bildungsthemen und Schulen sowie alles, was mit innerer Sicherheit und der Polizei zu tun hat. Bei vergangenen Landtagswahlen waren das auch immer ganz entscheidende Schwerpunkte. Nehmen sie die letzte NRW-Landtagswahl, da war die Frage, ob Kinder nach acht oder neun Jahren am Gymnasium das Abitur machen sollen, für den Wahlsieg der CDU ausschlaggebend. Interessanter Weise sind Bildung und innere Sicherheit aktuell nicht so stark auf der Agenda.
Woran liegt das?
Momentan schlagen bundespolitische Themen sehr stark durch. Ein klassisches Wahlkampfthema wie das der inneren Sicherheit greift in Zeiten, in denen es um Krieg und Frieden in Europa geht und in denen viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kommen, nicht. Es stehen andere große Fragen im Mittelpunkt. Dazu gehört auch die Energiefrage, die aus diesem Krieg resultiert. „Energie der Zukunft“ und „Nachhaltigkeit“ stehen mehr im Fokus, andere Inhalte werden an den Rand gedrückt.
Ist ein Wahlkampf, wie wir ihn kennen, in Kriegszeiten überhaupt möglich?
Nein, es wird ein anderer Wahlkampf. Die Parteien werden sicher nicht so scharf miteinander umgehen, wie es in Friedenszeiten der Fall wäre. Das sieht man sehr gut an Friedrich Merz in Berlin. Er kann die Regierung momentan nicht so attackieren, wie er das wahrscheinlich gerne machen würde. Es ist jetzt die Zeit des Zusammenrückens gegen den äußeren Feind. Das galt auch schon begrenzt beim Kampf gegen die Covid Pandemie. Für Politiker wie Friedrich Merz, die gerne Attacke reiten, ist das schwer. Und das gilt sicher auch für die Wahlkämpfer in NRW.
Wie schätzen Sie die Lage der Parteien aktuell ein?
Die CDU muss zunächst einmal sehen, dass sie den Loslösungsprozess, der bei der Bundestagswahl eingesetzt hat, wieder umkehrt. Sie muss ihre Stammwähler zurückgewinnen. Im Saarland ist das gar nicht geglückt, in NRW sieht es etwas besser aus. Hier hat man das auf bundespolitischer Ebene zerschlagene Porzellan besser wieder zusammengesetzt. Trotzdem sehe ich bei der CDU derzeit kein wirkliches Gewinnerthema, das sie als Alleinstellungsmerkmal besetzt.
Wie sieht es bei den anderen Parteien aus?
Die Grünen werden sich sicher auf Themen wie Klimaschutz und Energiewende konzentrieren. Sie werden mehr Photovoltaik und mehr Windkraft fordern und der Vorgängerregierung vorwerfen, dass sie da jahrelang auf der Bremse gestanden hat. Bei der FDP wird man versuchen, wirtschaftsliberale Instrumente für die Umsetzung der Energiewende in den Fokus zu rücken und damit zu punkten. Das hat die Partei ja auch auf Bundesebene geschickt zu einem ihrer Kernthemen gemacht. Nicht umsonst haben Grüne und FDP bei den jungen Wählern daher die meisten Anhänger bei der Bundestagswahl gehabt.
Und die SPD?
Bei den Sozialdemokraten steht der soziale Ausgleich für das, was aus den Krisen resultiert, im Vordergrund. Da geht es auch um Unterstützung für kleine Unternehmen. Damit steigen sie im Ansehen als Partei mit Wirtschaftskompetenz auf und nehmen der CDU eines ihrer Kernthemen, so war es zumindest im Saarland. Zudem besetzt die FDP zentrale wirtschaftliche Themenfelder und ist bei vielen Jugendlichen attraktiver.
Sehen sie Themen, die für Westfalen besondere Relevanz haben?
Im ländlichen Raum gibt es schon drastische Neuorientierungen, die wichtig werden. Etwa beim Thema Nachhaltigkeit. So wird sicher die Windkraftnutzung im Münsterland ein Thema sein, bei dem sich manche Partei profilieren will. Im Münsterland ist ja noch Potenzial für den Ausbau, während man in Ostwestfalen schon weiter ist. Einige Parteien werden vielleicht Absicherungsmechanismen für kleinere und mittlere Betriebe ins Spiel bringen. Davon gibt es in Westfalen ja auch sehr viele hidden champions.
Wo werden die Landtagswahlen denn eher entschieden: in den städtischen Gebieten oder in ländlichen Regionen?
In NRW gibt es vergleichsweise eine sehr starke urbane Bevölkerung. Daher sind die Städte sehr wichtig. Aber auch auf dem Land gibt es viele Stimmen zu gewinnen oder zu verlieren. Daher muss eine Landesregierung versuchen, beides abzudecken.
Traditionell ist das ländliche Milieu eher der CDU zuzuordnen, das städtische der SPD – wird das so bleiben?
Von der Tendenz her stimmt es sicherlich, dass die CDU vor allem im Münsterland, in Ostwestfalen und im Sauerland punkten kann, die SPD dagegen im Ruhrgebiet. Aber die Milieus weichen immer weiter auf. Vor allem bei den jüngeren Wählern sehen wir, dass die großen Volksparteien da nicht mehr so ziehen, wie noch vor 20 oder zehn Jahren. Das gilt auf dem Land ebenso wie in der Stadt.
Wagen Sie eine Prognose für den Ausgang der Wahl?
Nein, ich wage keine Prognose. Ich glaube, es wird eine der spannendsten Wahlen der vergangenen Jahre. Es könnte tatsächlich um jede Stimme gehen. Was ich aber zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es eine neue Regierungskonstellation geben. Wir sind noch sehr früh im Wahlkampf, aber wenn man sich die Umfragezahlen aktuell ansieht, hat Rot-Grün mehr Stimmen als Schwarz-Gelb. Das heißt: Sollte die CDU stärkste Partei bleiben, wird sie voraussichtlich einen zusätzlichen Partner brauchen, also die Grünen in einer Jamaika-Koalition. Oder es wird eine von der SPD geführte Ampel-Koalition geben. Das sehe ich als die beiden wahrscheinlichsten Optionen. Es bleibt aber sehr spannend.
Interview: Jürgen Bröker, wsp
Unsere Serie zur Landtagswahl lesen Sie hier.