Gutachter Keuling sieht wenige Chancen, dass das Wisentprojekt fortgeführt wird. Foto: Bröker
01.02.2023

„Eine Fortsetzung ist unrealistisch“

In seinem Gutachten hat Dr. Oliver Keuling vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der 
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover festgestellt, dass beim Wisentprojekt einige Fehler gemacht wurden. Im Interview erläutert er, welche.

Herr Dr. Keuling, Sie haben 2021 ein umfangreiches Gutachten zum Wisentprojekt am Rothaarsteig vorgelegt. Was waren die größten Schwachpunkte, die sie ausgemacht haben?
Das größte Problem sind nicht die Wisente. Für mich als Außenstehendem wird deutlich, dass u.a. Siegerländer und Sauerländer nicht miteinander können. Dort gibt es teilweise wirklich tiefe Gräben zwischen beiden Seiten. Man hätte das Projekt nicht in ein solches spannungsgeladenes Gebiet legen sollen. Das war sicher der erste große Fehler.

Immerhin sind dort große Waldflächen vorhanden.
Das stimmt. Aber heute weiß man – und das war bei den ersten Überlegungen zum Wisentprojekt noch nicht so bewusst – dass die Tiere eher halboffene Landschaften bevorzugen und weniger im Wald leben. Damals hat man das nicht in dieser Deutlichkeit gewusst. Im Siegerland wollte man das Projekt aber anscheinend unbedingt umsetzen.

Gab es weitere Schwierigkeiten?
Die wissenschaftliche Koordination des Projektes war leider nicht so gut. Es gibt nur wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen direkt zu den Wisenten. Zu Beginn des Projekts lag die wissenschaftliche Begleitung bei der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Doch der Vertrag lief im Herbst 2015 aus. Die Stelle der wissenschaftlichen Koordination wurde dann erst 2017 wiederbesetzt. Leider durch eine unerfahrene, wenn auch fachlich kompetente Wissenschaftlerin, die direkt vom Trägerverein eingestellt wurde. Das Motto des Vereins lautete: Wir können das alles selbst.

Aber es sind doch durchaus Studien zur Wiederansiedlung der Tiere erschienen.
Zu Mistkäfern, Pilzen und Pflanzen sind einige Veröffentlichungen erschienen, also vor allem zu Organismen, die vom Dung der Wisente profitieren – das stimmt. Aber mit dem wesentlichen Problem hat man sich nur unzureichend befasst: Wie verhindern wir, dass die Wisente Schaden anrichten? Das ist wichtig bei Artenschutzprojekten – gerade mit solchen Flaggschiffen, wie es die Wisente nun einmal sind.

Was ist aus dem ursprünglich geplanten virtuellen Zaun geworden, der die Tiere in einem bestimmten Gebiet halten sollte?
Leider konnte man schon 2013 sehen, dass sich ein virtueller elektrischer Zaun nicht realisieren lassen würde. Man hätte kilometerweise Kabel im Waldboden vergraben müssen. Hätten sich die Tiere diesem Kabel genähert, hätten sie einen kleinen elektrischen Schlag bekommen, das ist nicht tierschutzkonform und war auch nicht machbar. Hinzu kommt, dass der Verein mit veralteten Halsbändern bei den Tieren arbeitet. Der Empfang im Projektgebiet ist nicht immer gewährleistet.

Wie hätte eine Lösung aussehen können?
Besser wäre gewesen, man hätte modernere Sender eingesetzt. Dann könnte man verlässlich sehen, wenn sich die Tiere auf eine Fläche zubewegen, die sie nicht betreten sollen. Man hätte eine „schnelle Eingreiftruppe“ hinschicken können, die die Tiere vergrämt. So ein Prinzip wendet man etwa bei einem vergleichbaren Projekt in Rumänien an.

Glauben Sie an eine Fortführung des Projekts am Rothaarsteig? 
Ich denke, dass das sehr unrealistisch ist. Eine dauerhaft Wiederansiedlung einer frei lebenden Wisentherde wäre aber durchaus machbar. Mein Eindruck ist, das ist nicht wirklich gewollt. Man bräuchte als eine wichtige Voraussetzung für ein Gelingen eines solchen Projekts einen großen Träger. Doch der ist nicht in Sicht. Wenn das Land NRW als Träger oder Koordinator einspringen wollen würde, hätte es längst gehandelt. Gleich nach dem wir das Gutachten 2021 vorgestellt haben, hätte das Land sagen müssen, wir übernehmen die Verantwortung und kümmern uns. Das ist nicht passiert. Der WWF als möglicher großer Träger, dessen Projekte in anderen Ländern sehr gut laufen, hat auch schon gesagt, er macht es nicht. Er will anscheinend nicht auf verbrannte Erde.

Könnten denn die Kosten für eine Fortführung gestemmt werden?
500.000 Euro jährlich würden laut unserer Prognose anfallen. Finanziell ist das ein Witz. Da wird in anderen weniger wichtigen Projekten mehr Geld verpulvert. Mit verhältnismäßig geringem finanziellen Aufwand, könnte man also einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung einer bedrohten Art leisten und auch das Management auf stabile Füße stellen. Ich glaube aber nicht, dass man das Projekt retten kann. Der Verein hat die Tiere als herrenlos erklärt, das geht so natürlich auch nicht. Nun muss der Landkreis das Dilemma ausbaden.

Was denken Sie: Kann der Mensch Arten nicht nur ausrotten, sondern auch zurückbringen? 
Schwierig. Eigentlich hat es ja bei den Wisenten ganz gut funktioniert. Und es könnte auch weiter funktionieren. Aber dann müsste der Mensch seine Ansprüche zurückschrauben. Dazu scheint er nicht bereit zu sein. Das hat man auch schon bei anderen Projekten gesehen, bei denen der Mensch seine Ansprüche über den Artenschutz gestellt hat. Daher muss die Antwort wohl lauten: Der Mensch ist nicht dazu in der Lage.

Interview: Jürgen Bröker

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