Eine Kapelle zur Erinnerung
Ein Museum in Soest erzählt bewegende Geschichten aus einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager.
Guillaume Gillet und René Coulon kannten sich vom Studium in Paris und waren ab 1940 zusammen in deutscher Kriegsgefangenschaft in Soest. Dort schufen sie unter dem Dach eines Kasernengebäudes ein Werk, das bis heute große Faszination ausübt: Gillet und Coulon, in Frankreich später als namhafte Architekten und Designer tätig, gestalteten in Soest die sogenannte Französische Kapelle. Die denkmalgeschützte Gedenkstätte ist der Höhepunkt des kleinen, im Februar eröffneten Museums für Zeitgeschichte.
Eigentlich hatten die Nazis in den 1930er Jahren südwestlich der Soester Altstadt eine Kaserne gebaut. Doch dann begann das nationalsozialistische Deutschland mit dem Überfall auf Polen 1939 den Zweiten Weltkrieg. Es wurden Gebäude gebraucht, um Kriegsgefangene unterzubringen. Schon bald waren polnische Soldaten in der geplanten Kaserne interniert. Es folgten Niederländer, Belgier und Franzosen, insbesondere Offiziere aus den westeuropäischen Ländern. So wie Gillet und Coulon.
Sport, Kultur und Lageruniversität

Werner Liedmann von der Geschichtswerkstatt Französische Kapelle Soest im „Museum für Zeitgeschichte“. Foto: M. Zehren
Fast 5000 französische Soldaten und 400 sowjetische Kriegsgefangene waren am Ende des Zweiten Weltkriegs im Soester Offiziersgefangenenlager Oflag VIA, sagt Werner Liedmann, Vorsitzender der „Geschichtswerkstatt Französische Kapelle Soest“. Die Mitglieder des Vereins setzen sich seit seiner Gründung 1997 für die Kapelle ein. Viele der Gefangenen in Soest entwickelten im Lager ein vielfältiges kulturelles Leben: Sie musizierten, spielten Theater, trieben Sport von Handball und Fußball bis Boxen und veranstalteten eine Lageruniversität, bei der inhaftierte Professoren Vorlesungen hielten.
Und auch ihre Religion durften die westeuropäischen Gefangenen frei ausüben. Auf Bitten der Offiziere bekamen sie einen Dachraum für einen sakralen Andachtsraum zugesprochen, den Gillet und Coulon in leuchtenden Farben bemalten, wobei die Farben der „Trikolore“ vorherrschen: blau, weiß und rot. Zu sehen sind Bilder von Heiligen, deren Leben durch Leid und Gefangenschaft geprägt war, Darstellungen christlich-barmherziger Berufe und eine Karte Frankreichs ohne Grenzen mit seinen Heiligen und einigen kulturellen Besonderheiten – eine Erinnerung an die vermisste Heimat.
Auf einen damaligen Gefangenen in Soest macht Werner Liedmann besonders aufmerksam: Paul Dochier war als Offizier und Arzt im Austausch freiwillig ins Oflag VIA gekommen, um den sowjetrussischen Kriegsgefangenen im Lager medizinisch beizustehen. Jene waren später ebenfalls im Lager interniert – jedoch zu deutlich schlechteren Bedingungen als die westeuropäischen Offiziere. Als Frère Luc erlangte Dochier später, Mitte der 1990er Jahre, traurige Bekanntheit, weil er im algerischen Atlasgebirge zusammen mit sechs anderen Trappistenmönchen von Terroristen ermordet wurde. Seine Familie besuchte 2019 die Französische Kapelle in Soest.
Erst Displaced Person, dann belgische Streitkräfte
Ein Offizier im Oflag – Maurice Vantelot – wurde bei einem Fluchtversuch erschossen. Ein anderer belgischer Gefangener, Oberst Julien Bouhoun, kam später wieder nach Soest zurück, erzählt Werner Liedmann: Diesmal jedoch als Besatzer. Denn nach der Befreiung im April 1945 diente das Lager zunächst als Notunterkunft für Tausende Displaced Persons, also ehemalige Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene, Flüchtlinge und Vertriebene. Ab 1951 nutzten die belgischen Streitkräfte als alliierte Besatzungsmacht das Gelände erstmals als Kaserne.
Filme, Fotos, Dokumente und Exponate von archäologischen Fundstücken bis zu Uniformen veranschaulichen in dem mit viel Herzblut gestalteten Museum die verschiedenen Phasen des Areals: als Oflag VIA bis 1945, als „Camp Vantelot“ bis 1951 und schließlich als belgische „Colonel BEM Adam“-Kaserne bis 1994.

Die Wandzeichnung in Soest zeigt die Lageruniversität, bei der Professoren die französischen Kriegsgefangenen unterrichtet haben. Foto: M. Zehren
Nach dem Rückzug der Belgier lag das Gelände brach. Die Stadt Soest kaufte es 2017. Die Zukunft der Kapelle und eines kleinen belgischen Museums in der ehemaligen Kaserne, die zum Wohn- und Gewerbegebiet umgebaut werden sollte, war eine Zeitlang ungewiss. „Wir haben gezittert“, blickt Werner Liedmann zurück. Doch 2021 gelang es der Geschichtswerkstatt, mit Hilfe des Landes NRW, der NRW-Stiftung und des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe eine Finanzierung für eine Gedenkstätte mit Museum auf die Beine zu stellen.
Im Frühjahr dieses Jahres wurde das Museum eröffnet und erfreut sich seitdem großer Nachfrage, wie Liedmann zufrieden betont. Zumal zu den Besuchern der Französischen Kapelle immer wieder auch Familienangehörige zählen, die wissen wollen, wo ihre Vorfahren im Zweiten Weltkrieg gefangen gewesen waren. Mit einem französischen Verein, der an das Oflag VIA gedenkt, pflegt der Soester Geschichtsverein gute freundschaftliche Kontakte.
Martin Zehren
Diesen Artikel und weitere interessante Beiträge lesen Sie in Heft 5/2025 des WESTFALENSPIEGEL mit dem Schwerpunkt Essen und Genießen.
Gedenkstätte Französische Kapelle Soest, Zur Französischen Kapelle 16a, geöffnet am 26.10.2025, 9.11., 23.11., 14.12. und 28.12.2025 von 11 bis 17 Uhr, Führungen und museumspädagogische Programme auf Anfrage. www.franzkapellesoest.de