Steigen durch das 9-Euro-Ticket mehr Menschen auf Bus und Bahn um? Foto: pixabay
19.05.2022

„Eine Maßnahme allein ist kein Zaubermittel“

Im Interview erklärt Prof. Johannes Weyer, Experte für Techniksoziologie an der TU Dortmund, welche Chancen das 9-Euro-Ticket bietet. 

Herr Weyer, können die Menschen durch das 9-Euro-Ticket für Bus und Bahn begeistert werden?
Ich habe da so meine Zweifel. Wir haben vor vier Jahren eine Simulation durchgeführt. Damals haben wir den ÖPNV in den Berechnungen kostenlos gemacht und uns angesehen, ob mehr Menschen umsteigen würden und man somit den CO2-Ausstoß verringern könnte. Das überraschende Ergebnis lautete: es hat gar nicht viel gebracht.

Wenn Sie die Simulation mit den heutigen Spritpreisen durchführen würden, könnte das Ergebnis aber vielleicht anders sein.
Ich glaube schon, dass wir heute ein etwas anderes Ergebnis erhalten würden. Man würde wahrscheinlich eine leichte Verlagerung zugunsten des ÖPNV bekommen. Aber das Hauptproblem, das wir damals festgestellt haben, gilt heute sicher auch noch: Einem notorischen Autofahrer ist es letztlich gleichgültig, ob der Sprit 1,50 oder 2 Euro kostet. Es muss eine Menge passieren, damit er auf sein Auto verzichtet.

Welche Gründe haben diese Autofahrer, sich weiter hinter das Steuer zu setzen?
Es gibt Menschen, die einfach Spaß am Autofahren haben oder für die keine guten alternativen  Bus- und Bahnverbindung zur Verfügung stehen. Diese Gruppe wird man auch mit dem 9-Euro-Ticket nicht zu Bahnfahrern machen. Ich hoffe zwar, dass das Ticket wirkt. Allzu große Hoffnungen sollte man aber nicht haben.

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Das Ticket wird für drei Monate testweise eingeführt. Was halten Sie davon?
Ich bin ein großer Anhänger von Experimenten. Wenn man etwas Neues schaffen will,  muss man es ausprobieren – auch wenn man damit auf die Nase fällt. So ist das Leben, und so ist auch die Wissenschaft. Aus den Ergebnissen müssen dann aber die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Nach den drei Monaten wird man mehr wissen. War es erfolgreich? Soll man das 9-Euro-Ticket verlängern oder in die Tarifstrukturen einbauen? Oder ist ein 365-Euro-Ticket, wie es etwa in Wien praktiziert wird, eine bessere Lösung.

Wie funktioniert dieses 365-Euro-Ticket in der österreichischen Hauptstadt?
Die Kunden zahlen 365 Euro im Jahr und können damit öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Das wird tatsächlich auch gut angenommen. Allerdings hängt das dort damit zusammen, dass man mit dem Auto kaum noch in die Stadt kommt. Wien ist in den letzten 20 Jahren konsequent den Schritt Richtung autofreie Innenstadt und Parkraumverknappung gegangen. Dann ist es auch attraktiv für einen Euro pro Tag mit Bus und Bahn zu fahren. Daran sieht man: Eine Maßnahme allein ist kein Zaubermittel. Sie muss mit anderen Maßnahmen kombiniert werden.

Für Menschen auf dem Land wird das 9-Euro-Ticket wohl nicht attraktiv sein.
Das kommt darauf, wo sie wohnen. In Süddeutschland ist die Anbindung der Dörfer oft gar nicht so schlecht. In NRW gibt es aber noch viele Bereiche, die haben enormen Nachholbedarf. Lang- und Mittelfristig wird man für diese Regionen neue Lösungen finden müssen. Man muss dort weg von starren Fahrplänen. Die Angebote müssen stärker auf die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen zugeschnitten werden. Zum Beispiel durch kleinere Fahrzeuge, die auf Bestellung fahren. Das wird aber nicht in den nächsten drei Monaten erledigt sein.

Ist der Zeitraum in den Ferienmonaten günstig gewählt? 
Ehrlich gesagt, ist das nicht sehr glücklich. Das hätte man besser terminieren können. Viele Pendler haben ja Urlaub. Aber ich gehöre nicht zu der Fraktion der Nörgler. Ich denke vielmehr, dass es ein positives Signal sendet: Wir tun etwas, wir wollen von fossilen Energien weg, wir wollen die Verkehrswende. Das finde ich erst mal gut.

Wagen Sie eine Prognose, ob das 9-Euro-Ticket nachhaltig etwas bewirkt?
Ich habe die Hoffnung, dass es etwas mehr bringt, als unsere Simulation vor vier Jahren zum kostenlosen Ticket gezeigt hat. Positiv ist außerdem, dass eine Debatte in Gang gekommen ist, die deutlich macht, wir müssen von den fossilen Brennstoffen weg. Ich sehe das Projekt daher eher als Anstoß. Wichtig ist, dass es nach den drei Monaten weitergeht.

Interview: Jürgen Bröker

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