Die Büste der Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) vor dem Teehaus bei Burg Hülshoff in Havixbeck. Foto: CfL, Harald Humberg
24.05.2023

„Eine Pionierin“

Am 24. Mai vor 175 Jahren ist Annette von Droste-Hüshoff gestorben. Die Westfälin gilt als berühmteste deutsche Dichterin. Novellen wie „Die Judenbuche“ oder Gedichte wie der „Knabe im Moor“ sind heute nicht nur Schullektüre, sondern prägen den Wortschatz. Das Center for Literature auf Burg Hülshoff bespielt den Geburtsort der Dichterin und gibt in zahlreichen Veranstaltungen und Residenzen Anstoß für Debatten zum Werk. Wir haben mit Leiter Dr. Jörg Albrecht darüber gesprochen, wie aktuell die Droste heute noch ist.

Herr Dr. Albrecht, der „Spuk“ steht im Mittelpunkt eines zweijährigen Projektes, das den 225. Geburtstag der Droste im vergangenen Jahr und den 175. Todestag am 24. Mai miteinander verbindet. Worum geht es?
In den Texten der Annette von Droste-Hülshoff geht es immer wieder um Spuk, Geister und Gespenster. Das ist dann aber nicht eine außergewöhnliche gruselige Begebenheit, sondern ein weit verbreitetes Phänomen, das die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert in ihrem Alltag entlang westfälischer Sagen und Gebräuche begleitete. Im Center for Literature auf Burg Hülshoff schauen wir in Workshops, einer Ausstellung und weiteren Veranstaltungen, was Spuk im Werk der Dichterin, aber auch heute noch bedeutet. Schließlich stehen Gespenster für etwas aus der Vergangenheit, das nicht eingelöst worden ist. Wo es spukt, warten nicht erfüllte Aufgaben.

Johann Joseph Spricks Porträt der Droste. Foto: Neander

Johann Joseph Spricks Porträt der Droste. Foto: Neander

Romane, Festivals und auch Forschungsergebnisse haben die Droste zuletzt wieder populär gemacht – eine Wiederbelebung?
Mit diesem Begriff wären wir wieder bei den Gespenstern. Wir vom Center for Literature auf Burg Hülshoff wollen aber kein punktuelles Revival des Werks und seiner Dichterin. Vielmehr geht es uns darum darzustellen, dass Droste-Hülshoff nicht nur für die Region Westfalen prägend war, sondern auf vielen Ebenen eine Pionierin. Sie lebte in einer Zeit der Umbrüche, war hin- und hergerissen zwischen dem Festhalten an den Strukturen des Adels auf der einen und einer Lust nach Freiheit auf der anderen Seite. Annette von Droste-Hülshoff war eine starke Persönlichkeit, eine Proto-Feministin, war bekannt mit Frauenrechtlerinnen wie Mathilde Franziska Anneke, lehnte ihre Anliegen aber größtenteils ab. Ihr Todestag war kurz nach der Ersten Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Auch dieser Bewegung stand sie ablehnend gegenüber. Und auch in ihren literarischen Texten äußert sich die Angst vor dem Verlust von Privilegien – in Form von Spuk.

Also war die Droste ihrer Zeit doch nicht in jeder Hinsicht voraus?
Sie war voller Ambivalenzen – und damit hat sie mit den allermeisten Menschen heute viel gemein. Im Center for Literature auf Burg Hülshoff haben wir uns in mehreren Lesungen und Kunstprojekten mit der „Judenbuche“ beschäftigt, eines der bekanntesten Werke der Droste. Darin porträtiert sie Menschen jüdischen Glaubens und verfällt dabei auch antisemitischen Klischees. Dessen sollten wir uns klar werden und zeigen, was das in der damaligen Zeit bedeutete und wie es sein kann, dass solche Denkmuster heute noch virulent sind. Da betreiben wir keine Schönfärberei.

Dr. Jörg Albrecht. Foto: Schernau

Dr. Jörg Albrecht. Foto: Schernau

Was hat die Dichterin aus der Biedermeier-Zeit uns denn heute noch zu sagen?
Mit ihrer poetischen Brillanz kann sie uns in zahlreiche Themen mitnehmen. In vielfältigen Formen hat sie ihre Zweifel an Umbrüchen formuliert; etwas, das heute sicherlich ebenfalls viele Menschen umtreibt. Sie war eine Vordenkerin in Sachen Ökologie. In ihren Beschreibungen von Pflanzen schlüpfte sie geradezu in das Objekt selbst und ließ die Natur sprechen. Wenn man schaut, was heute Smartphone-Apps zur Pflanzenerkennung mit immer weitergehenden, multimedialen Informationen leisten, dann bemerkt man, dass Annette von Droste-Hülshoff mit ihrer literarischen Arbeit wirklich eine Pionierin war.

Interview: Annette Kiehl, wsp

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