Der Nordbahnhof in Bochum; Foto: Lutz Leitmann/Stadt Bochum
05.11.2020

Einsatz für die Demokratie

Der Historiker Bernd Faulenbach engagiert sich für die Stärkung der Erinnerungskultur. Im ehemaligen Bahnhof Bochum Nord will er mit dem Verein „Initiative Nordbahnhof Bochum“ einen Gedenkort einrichten.

Bis auf einen Tisch und vier Stühle ist der Raum im Bochumer Nordbahnhof noch leer. „Das hier wird der Multifunktionsraum für Seminare und Vorträge“, sagt Prof. Bernd Faulenbach. Der frühere Bahnhof soll ein Gedenkort werden. Wenn alles gut läuft, soll schon im nächsten Jahr eine Ausstellung in einem Raum hinter den ehemaligen Fahrtkartenschaltern die NS-Geschichte des Bahnhofs erzählen. „Das Gebäude diente im Zweiten Weltkrieg als Deportationsbahnhof. Es ist ein Ort, den man als Drehscheibe des Terrors bezeichnen kann“, erklärt Faulenbach.

Der 77-jährige Bochumer Historiker forscht nicht nur seit Jahrzehnten zur deutschen Geschichte insbesondere des 20. Jahrhunderts, sondern setzt sich auch dafür ein, dass an diese Geschichte erinnert wird. Seit fünf Jahren ist er Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“ in Berlin, einer überparteilichen Vereinigung mit rund 2200 Mitgliedern. Zu Faulenbachs prominenten Vorgängern an der Spitze zählen unter anderem der kürzlich verstorbene frühere SPD-Chef Hans-Jochen Vogel (1993 bis 2000) und der Theologe und spätere Bundespräsident Joachim Gauck (2003 bis 2012).

Erinnerung wachhalten

„Der Zusammenschluss möchte die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Diktatur und das Unrecht in der DDR wachhalten. Dieses Wachhalten verbindet er mit einem Engagement für unsere Demokratie“, sagt Faulenbach. „Dazu versuchen wir verschiedenste Bildungsveranstaltungen und Forschungsprojekte zu realisieren.“ Die Vereinigung wendet sich auch gegen die verschiedenen Formen des politischen Extremismus und Populismus. Sie bietet zum Beispiel eine Online-Beratung gegen Rechtsextremismus an und ein Argumentations-Training, um etwa in der Schule oder bei Familienfesten auf extremistische Äußerungen schlagfertig reagieren zu können. Zudem wird ein Kompetenzteam aufgebaut, das Hass-Sprache und Diskriminierung im Internet bekämpfen soll. Mehr als 40 regionale Arbeitsgruppen organisieren darüber hinaus Angebote bei sich vor Ort, darunter in Westfalen die Gruppen Münsterland, Mittleres Ruhrgebiet, Östliches Ruhrgebiet, Bielefeld und Ostwestfalen-Lippe.

Der renommierte Historiker Bernd Faulenbach aus Bochum ist Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen – für Demokratie". Foto: GVFD/Harry Soremski

Der renommierte Historiker Bernd Faulenbach aus Bochum ist Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“. Foto: GVFD/Harry Soremski

Gegründet wurde „Gegen Vergessen – für Demokratie“ kurz nach der Wiedervereinigung 1993, in Folge rechtsextremer Gewalttaten wie der tödlichen Brandanschläge von Mölln und Solingen. „Der Gründungsvorsitzende Hans-Jochen Vogel hat damals gesagt: Wir wollen diese Demokratie stabilisieren, indem wir uns mit den Erfahrungen der deutschen Vergangenheit auseinandersetzen“, erinnert sich Faulenbach und begründet sein eigenes Engagement: „Wenn man sich mit dem NS-Staat beschäftigt, sieht man deutlich, wohin man gerät, wenn es keine Menschen- und Bürgerrechte gibt, wenn die Gewaltenteilung nicht mehr besteht und Herrschaft auf Zeit nicht mehr gewährleistet ist.“

„Faulenbach-Formel“

In den 1990er Jahren beschäftigte sich Faulenbach verstärkt mit den Folgen der SED-Diktatur und saß zu diesem Thema als Sachverständiger in zwei Enquête-Kommissionen des Bundestags. In der damals emotional geführten Diskussion, inwieweit die Verbrechen des Nationalsozialismus und des Stalinismus vergleichbar seien, entwickelte er 1991 die sogenannte „Faulenbach-Formel“, die mittlerweile als ein wichtiger geschichtswissenschaftlicher Konsens über europäische Grenzen hinweg gilt und bei Historikern große Anerkennung fand: „Ich habe gesagt, dass die NS-Verbrechen nicht durch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus relativiert werden und umgekehrt die stalinistischen Verbrechen durch den Hinweis auf die NS-Verbrechen nicht bagatellisiert werden dürfen. Mit meiner Formel habe ich ein bisschen Frieden stiften können.“

Auch in andere geschichtspolitische Debatten mischte sich „Gegen Vergessen – für Demokratie“ ein. So engagierte sich der Verein für die dauerhafte Förderung von Gedenkstätten und Erinnerungsorten sowie Ausgleichszahlungen für Zwangsarbeiter und Euthanasie-Geschädigte der NS-Zeit. Den türkischstämmigen Zeitzeugen Ibrahim Arslan, der beim Brandanschlag von Mölln 1992 drei Familienangehörige verlor, begleiten Vereinsmitglieder an Schulen. Dort spricht Arslan mit Jugendlichen, etwa am Heriburg-Gymnasium in Coesfeld, wo er die Patenschaft für das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ übernommen hat.

„Bochum hat bisher keinen zentralen Gedenkort“

Dass sich Bernd Faulenbach nun mit dem Gedenkort Nordbahnhof auch in seiner Heimatstadt Bochum für ein Projekt starkmacht, hat mehrere Gründe: „Bochum hat bisher keinen zentralen Gedenkort. Der Nordbahnhof ist eines der wenigen Gebäude in der Innenstadt, das im Krieg nur teilweise zerstört wurde, und er spielt in der kollektiven Erinnerung der Opfer eine besondere Rolle“, sagt der Historiker. „Hier soll eine Einrichtung entstehen, die kontinuierlich die Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte vornimmt. Ziel soll es sein, damit auch Beiträge zur gegenwärtigen politischen Kultur zu leisten.“

Martin Zehren

Der Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie“ wurde 1993 gegründet, um historische Erinnerungsarbeit mit dem konkreten Einsatz für die Demokratie zu verbinden. In Westfalen sind fünf regionale Arbeitsgruppen aktiv. Weitere Informationen zum Verein finden Sie hier.

Bahnhof Bochum Nord: Die Behörden der NS-Diktatur nutzten den Bahnhof um Juden, Sinti und Roma aus Bochum und Umgebung in Ghettos und Vernichtungslager im Osten zu deportieren und um Zwangsarbeiter zu ihren Einsatzorten im Ruhrgebiet zu bringen. Der 2016 gegründete gemeinnützige Verein „Initiative Nordbahnhof Bochum“, dessen Vorsitzender Bernd Faulenbach ist, will im ehemaligen Empfangsgebäude einen Gedenkort errichten. Dort soll an die Deportationen erinnert werden und an Menschen aus Bochum, die gegen den Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben. Mehr zur Initiative lesen Sie hier.

In unserer Serie „Erinnerungsorte“ berichten wir über weitere Orte der Erinnerung und Menschen, die gegen das Vergessen arbeiten. Hier geht’s zur Serie.

Das Interview erschien zuerst in Heft 5/2020 des WESTFALENSPIEGEL. Gerne können Sie hier ein Probeabo bestellen.

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