Lippegänse watscheln über das Gelände des Freilichtmuseums. Foto: LWL-Freilichtmuseum Detmold
03.05.2023

Erhalten, vermehren, verbreiten

„Artenvielfalt in Gefahr“ ist der Themenschwerpunkt des WESTFALENSPIEGEL (Heft 2/2023): Im LWL-Freilichtmuseum Detmold gibt es alte, regionaltypische Tier- und Pflanzenarten zu sehen. Sie werden dort gehegt und gepflegt.

Sie tragen Namen wie Schafsnase und Schöner von Buke, erfreuen im Frühjahr mit ihren zarten weißen und rosafarbenen Blüten das Auge und im Herbst den Gaumen mit knackigen Früchten. Rund 200 alte Obstsorten – neben Äpfeln auch Birnen und Kirschen – gedeihen auf dem 90 Hektar großen Gelände des LWL-Freilichtmuseums in Detmold. Von den vielen Bäumen entlang der Wege und auf den Streuobstwiesen profitieren nicht nur die Menschen.

„Obstbäume liefern auch Nahrung für viele Insekten. Das beginnt in der Blütezeit und endet im Herbst, wenn das Fallobst von Schmetterlingen, Vögeln und Säugetieren genutzt wird. Hinzukommen die vielen Insekten wie Blattläuse und Apfelwickler, die den Vögeln wertvolle Nahrung bieten“, erklärt die Landschaftsökologin Agnes Sternschulte. Seit 1985 hat sie ihren Arbeitsplatz in dem Detmolder Museum, das damit deutschlandweit Vorreiter in Sachen Ökologie war und in dem der Artenschutz seither eine immer wichtigere Rolle spielt. „Die Erhaltung, Vermehrung und Verbreitung traditioneller Pflanzen und Nutztiere zählt seit langem ebenso zu unseren Leitlinien wie der Aufbau und die originalgetreue Ausstattung von historischen Gebäuden“, betont Dr. Marie Luisa Allemeyer, die das Freilichtmuseum seit September leitet.

Arten verschwinden von der Bildfläche

Die „Lippische Palme“ ist eine hochstämmige Grünkohlsorte. Foto: LWL-Freilichtmuseum Detmold

Die „Lippische Palme“ ist eine hochstämmige Grünkohlsorte. Foto: LWL-Freilichtmuseum Detmold

Zur Selbstversorgung mit Obst, Gemüse und Kräutern gehörte bis in die 1960er Jahre zu fast jedem Haus ein großer Nutzgarten. Im Zuge der Wirtschaftswunderzeit wurden viele dieser Gärten aufgegeben – man assoziierte sie mit Not und Arbeit und kaufte seine Lebensmittel lieber im Geschäft. Dadurch und durch den zunehmenden Einsatz von Pestiziden und Herbiziden in Garten und Landwirtschaft verschwanden zahlreiche Arten von der Bildfläche. Und daran hat sich bis heute nichts geändert: So gelten in Deutschland 35 Prozent der einheimischen Tierarten und 26 Prozent der Pflanzenarten als gefährdet. Besonders betroffen sind die Fluginsekten, deren Population allein in den vergangenen drei Jahrzehnten um 77 Prozent zurückgegangen ist.

Bereits der erste Leiter des 1971 eröffneten Freilichtmuseums, der Volkskundler Josef Schepers, erkannte das Gefährdungspotenzial und ließ auf dem Gelände Gärten anlegen. Im Rahmen des vom Bund geförderten Modellprojektes „Vielfalt ländlicher Gärten“ rückten diese grünen und blühenden Oasen, die weit mehr als ein schmückendes Beiwerk sind, ab 2011 noch stärker in den Vordergrund. In den verschiedenen Regionen Westfalens wurde intensiv nach alten lokalen Sorten aus Nutz- und Ziergärten gesucht, die im Museum gesammelt, dokumentiert, vermehrt und an interessierte Gartenbesitzer weitergegeben werden: Inzwischen engagieren sich mehr als 550 Pflanzenpaten für den Erhalt dieser Arten.

Artenvielfalt auf dem Acker

Im Verlauf des Projektes kamen 160 Gemüse- und Zierpflanzensorten zusammen, darunter auch die Lippische Palme, eine hochstämmige Grünkohlsorte, die bereits auf einem Kupferstich aus dem Jahre 1626 abgebildet ist. „Inzwischen wird die Lippische Palme in unserer Region wieder angebaut und vermarktet“, sagt Agnes Sternschulte. Zu den geretteten Pflanzen gehören auch solche, die früher oft auf dem Speiseplan standen, dann aber als „Unkraut“ gering geschätzt und ausgerottet wurden. So hat sich der Gute Heinrich, der viel Eisen und Vitamin C enthält und wie Spinat verarbeitet werden kann, längst seine Nische im Freilichtmuseum erobert.

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin

Artenvielfalt wird nicht nur in den Gärten, sondern auch auf den bewirtschafteten Ackerflächen des Museums großgeschrieben. „Über Saatzuchtbetriebe haben wir viele alte Feldsorten bekommen“, berichtet Agnes Sternschulte. So gedeihen auf den ausgedehnten Flächen heute wieder die Wintergerste „Mammuth“ und die ehemals weit verbreitete Kartoffel „Paulsens Juli“. Auf den Äckern erlebt auch die Luzerne eine Renaissance. Aufgrund ihrer tiefreichenden Wurzeln übersteht sie Dürreperioden, wie sie inzwischen bekanntlich auch in unseren Breiten keine Seltenheit mehr sind.

Senner Pferde galoppieren über die Wiesen

Als Futterpflanze für die Pferde findet die Luzerne im LWL-Freilichtmuseum Detmold Verwendung. Seit 2001 beteiligt dieses sich mit zwei Mutterstuten an der Arterhaltung der Senner Pferde, die mit nur 58 Tieren weltweit vom Aussterben bedroht sind. Seitdem wurden in Detmold 13 Fohlen geboren und an Züchter weitergegeben. Erstmals im Jahr 1160 urkundlich erwähnt, gelten die ebenso eleganten wie genügsamen Tiere als älteste Pferderasse Deutschlands.

Die Sennerpferde sind vom Aussterben bedroht. Das LWL-Freilichtmuseum  Detmold kümmert sich um die Nachzucht. Foto: LWL-Freilichtmuseum Detmold

Die Sennerpferde sind vom Aussterben bedroht. Das LWL-Freilichtmuseum  Detmold kümmert sich um die Nachzucht. Foto: LWL-Freilichtmuseum Detmold

Insgesamt knapp 100 Nutztiere haben auf dem Detmolder Museumsgelände ihr Zuhause – allesamt Rassen, die einst in Westfalen gezüchtet oder gehalten worden sind. Zu ihnen gehören Bentheimer Landschafe, Weiße Deutsche Edelziegen, Esel und (bis zum Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest) Bunte Bentheimer Schweine, aber auch alte Geflügelrassen wie das Lakenfelder Huhn und die Lippegans. „Von der Lippegans, deren Name auf den Fluss Lippe zurückgeht, hatte ich in der Literatur gelesen und daraufhin 1986 einen Aufruf gestartet: Weiße Gans mit blauen Augen gesucht!“, erinnert sich Agnes Sternschulte. Mit Erfolg: Heute watschelt das urwestfälische Federvieh nicht nur über das Kopfsteinpflaster des Museums, sondern wird von dem eigens gegründeten Verein Lippegans e.V. betreut. Ein traurigeres Schicksal war dem Wittgensteiner Blessvieh beschieden: In einem kleinen Dorf entdeckten die Tierexperten des Museums nur noch eine einzige Kuh.


Dieser Beitrag stammt aus Heft 02/2023 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Probeabos zwei Ausgaben unseres Magazins kostenlos zu. Hier geht es zum Probeabo.


Seit fast 40 Jahren ist das LWL-Freilichtmuseum Detmold, das auch ein eigenes Bienenzentrum hat, beim Artenerhalt ganz vorn. Seinen Einsatz für die Biodiversität führt es weiter konsequent fort: Anfang 2021 hat es sich der Globalen Koalition für Artenvielfalt der Europäischen Kommission angeschlossen – als erstes Freilichtmuseum weltweit.

Regina Doblies

Weitere Infos zum LWL-Freilichtmuseum Detmold gibt es hier.

Lesen Sie auch im Bereich "Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin