Die Villa ten Hompel in Münster. Foto: Maren Kuiter/Presseamt Münster
31.03.2021

Erinnern, forschen, lernen

Der Historiker Alfons Kenkmann beendet seine Beratertätigkeit für die Villa ten Hompel in Münster. Wir veröffentlichen aus diesem Anlass noch einmal Auszüge aus einem Gespräch mit ihm über Ziele und Herausforderungen der NS-Gedenkstätten in Westfalen.

Herr Prof. Kenkmann, warum haben Sie sich in den 1990er Jahren für die Gründung des Geschichtsorts Villa ten Hompel in Münster eingesetzt?
Ich war in Münster Dozent am Institut für Didaktik der Geschichte und bin durch eine Stadtführung auf den Ort aufmerksam geworden. In der Villa war im „Dritten Reich“ von 1940 bis 1944 der Befehlshaber der Ordnungspolizei für den Wehrkreis VI, das heutige Nordrhein-Westfalen, ansässig und von 1953 bis 1968 das Dezernat für Wiedergutmachung für politisch, rassisch und religiös Verfolgte. So hat man idealtypisch Täter- und Opfergeschichte an einem Ort, und das sucht bundesweit seinesgleichen.

Welche Rolle spielte bürgerschaftliches Engagement bei der Gründung anderer NS-Gedenkstätten in Westfalen?
Oft haben engagierte Bürgerinnen und Bürger eine Form von Erinnerungskultur betrieben, weil sie an die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Verantwortung vor Ort aufmerksam machen wollten, auf die Verstrickungen der eigenen Eliten und Stadtbevölkerung. Das ist paradigmatisch für eine Fülle von Initiativen in Westfalen.

In NRW gibt es bisher 29 Gedenkstätten, was sind die Aufgaben dieser besonderen Orte?
Es gibt drei wesentliche Ziele: Das erste ist das Erinnern. Die Erinnerungsarbeit schließt das Gedenken an die Opfer ein und die Erinnerung an die Taten in der gelebten Volksgemeinschaft unter dem NS-Regime 1933 bis 1945. Das zweite ist das Forschen: In der Villa ten Hompel ist zum Beispiel viel zu den regionalen Verwaltungseliten wie dem Befehlshaber der Ordnungspolizei geforscht worden. Die Forschung soll Erkenntnisse bringen, wie so eine gelebte Volksgemeinschaft überhaupt funktionierte. Und das dritte Ziel ist das Lernen, der Transfer an die jüngeren Generationen, der auf den Forschungsergebnissen aufbaut.

Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Foto: Sandra Schubert

Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Foto: Sandra Schubert

Wie vermitteln Gedenkstätten jungen Besuchern, was die Geschichte vor mehr als 75 Jahren mit ihrem eigenen Leben zu tun hat?
Mit der AfD haben wir jetzt eine Partei, die in der öffentlichen Diskussion manchmal schon mit der NSDAP in den 1920er Jahren gleichgesetzt wird. Das sehe ich als Historiker anders: Ich denke, die Vorläuferpartei der AfD ist eher die DNVP gewesen, wenn man sich deren Argumentationsstränge anschaut. Man muss den Schülern ein Rüstzeug zur Argumentation mitgeben und zeigen: Was sind heute die Analogien zu den 1920er Jahren und was sind die Unterschiede? Ein anderer Punkt sind Familiengeschichten: Viele Familienangehörige waren im „Dritten Reich“ Unterstützer des NS-Regimes. Ich sage das ohne erhobenen Zeigefinger; auch in meiner Familie gab es beide Seiten, einige sozialdemokratisch Verfolgte, andere haben durch die Zuschanzung von kleinen Wirtschaftsaufträgen profitiert.

Wie reagieren die Gedenkstätten auf extremistische Besucher?
Es sind vor allem die ehemalige SS-Ordensburg Vogelsang und die Wewelsburg, die solche Besucher anziehen. Viele Gedenkstätten haben sich eine Haus- und Besucherordnung gegeben. Wenn Besucher den Holocaust leugnen und nicht darauf aus sind, Argumente auszutauschen, dann muss man die Führung abbrechen und die Leute verweisen. Das ist meines Wissens aber sehr selten der Fall.

Interview: Martin Zehren

Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Leipzig, ist Vorsitzender des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW. Der frühere Geschichtslehrer war von 1998 bis 2003 Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des Geschichtsortes Villa ten Hompel in Münster. Für sein ehrenamtliches Engagement erhielt er 2010 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Der Artikel erschien zuerst in einer längeren Fassung in Heft 1/2020 des WESTFALENSPIEGEL. Hier können Sie einen Blick ins Heft werfen.

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