Erinnerungsarbeit
Der Kurort Bad Sassendorf gedenkt den tausenden Verschickungskindern, die zwischen 1950 und 1990 dort in Kurheimen untergebracht waren.
Vor allem in der Nachkriegszeit sollten Mädchen und Jungen mit „schwächlicher Konstitution“ in Kurheimen aufgepäppelt werden. Ohne Eltern wurden die etwa zwei- bis 14-jährigen Kinder in Orte an Küsten und auf Inseln, in Süddeutschland oder auch nach Bad Sassendorf geschickt. Allein in der von Diakonissen geleiteten Kinderheilanstalt waren in den 1960er Jahren bis zu 400 Kinder auf zehn Stationen gleichzeitig untergebracht. Für viele der jungen Patientinnen und Patienten, die in den Heimen untergebracht waren, war der Aufenthalt ein Albtraum. Demütigungen und Essenszwang, aber auch Gewalt und Missbrauch prägten die Kuren. Für viele Betroffene wirken diese Erfahrungen bis ins Erwachsenenalter nach, einige leiden noch heute an Traumatisierungen.
„Wundmal“ im Kurpark
Um dem Leid der Kinder zu gedenken, wurde im Frühjahr im Kurpark von Bad Sassendorf ein Erinnerungsort eingeweiht. „Wundmal“ lautet der Titel der Bronzeskulptur von Heike Fischer-Nagel. Diese zeigt kindliche Gesichter und Häuser. In den Sockel sind die Worte „In Erinnerung an das Leid der Verschickungskinder“ eingraviert. Daneben informiert eine Smartphone-App mit dem „Kurkind Petra“ als Protagonistin über den Ablauf der Kuren und die sechs Heime im Ort. Grundlage für diese Informationen war ein Forschungsprojekt des Museums Westfälische Salzwelten und des Historischen Seminars an der Universität Münster, das am Beispiel des Ortes in der Soester Börse die Geschichte der Kinderkuren untersucht hat. Studierende befragten Zeitzeugen und recherchierten in Archiven. Im Herbst 2022 fand der Bundeskongress „Das Elend der Verschickungskinder“ in Bad Sassendorf statt. Malte Dahlhoff, Bürgermeister des Kurortes, bat die ehemaligen Kurkinder dabei im Namen der Gemeinde um Vergebung für das entstandene Leid. „Dieses Thema gehört zu unserer Geschichte und wir setzen uns dafür ein, dass die Vorfälle aufgearbeitet und daraus gleichermaßen Lehren für die Zukunft gezogen werden“, sagt er.
Betroffene wünschen sich mehr Austausch
Während einigen Betroffenen die Aufklärung zu den Kinderkuren nicht weit genug geht, fühlen sich manche der ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinderkurkliniken unter einen Generalverdacht gestellt. Der Bürgermeister betont: „Darum geht es nicht. Wenn es um strafrechtlich relevante Taten, wie körperliche Gewalt und sexuellen Missbrauch geht, muss das ohne Wenn und Aber juristisch geklärt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, sensibel und differenziert mit Biografien umzugehen.“ Dahlhoff setzt sich für einen transparenten Umgang mit der Geschichte der Kinderverschickungen in Bad Sassendorf ein. Wichtig dabei war ihm, dass die „Wundmal“-Skulptur mitten im Kurpark neben dem neuen Gradierwerk steht. Sichtbar für alle. „Dieser Ort soll Begegnungen und Austausch ermöglichen und vielleicht auch Gespräche zwischen Betroffenen und ehemaligen Mitarbeitenden. Wenn das auch zu einer Form von Aussöhnung beitragen würde, wäre das wunderbar“, wünscht sich Dahlhoff.
aki, wsp
Einen ausführlichen Artikel zum Thema Kinderkuren und zu den Forschungen lesen Sie im WESTFALENSPIEGEL 06/2024