Ein "Stolperstein" in Hamm für Pater Bernhard Ketzlick. Foto: Kiehl
07.02.2020

Erinnerungskultur: „Stolpersteine“ werden kontrovers diskutiert

Schüler aus Billerbeck setzen sich dafür ein, dass in der münsterländischen Gemeinde „Stolpersteine“ verlegt werden. Sie wollen auf das Schicksal von Familien aufmerksam machen, die von den Nationalsozialisten aus Billerbeck vertrieben wurden.

Der Kurs „Schule ohne Rassismus“ der Geschwister-Eichenwald-Schule hat mehr als 800 Unterschriften für eine Bürgeranregung gesammelt. In dem Antrag fordern sie den Stadtrat auf, die Verlegung von „Stolpersteinen“ durch den Künstler Gunter Demnig zu genehmigen.

Demnig hat in den vergangenen fast 20 Jahren viele tausend der kleinen Messingplatten in Europa verlegt, darunter in Metropolen wie Hamburg und Berlin wie auch in kleinen Dörfern. Die „Stolpersteine“ werden auf dem Gehweg vor den ehemaligen Wohnhäusern und Arbeitsstätten von NS-Opfern verlegt. Mit einer Inschrift versehen, machen sie auf das Schicksal der verfolgten Menschen aufmerksam.

„Angst vor Rufschädigung“

In Billerbeck lehnten zwei Hausbesitzer die „Stolpersteine“ vor ihren Grundstücken jedoch ab. „Sie hatten Angst vor einer Rufschädigung“, sagt Wolfgang Suwelack, dessen Stiftung sich für eine Förderung des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Billerbeck einsetzt. Der Stadtrat habe 2017 daraufhin gegen die „Stolpersteine“ entschieden; bereits einige Jahre zuvor gab es ein Votum gegen das Projekt.

Bürgermeisterin Marion Dirks hatte vor drei Jahren ebenfalls gegen die Verlegung votiert. „Billerbeck ist eine kleine Stadt und wir legen Wert darauf, solche Dinge im Konsens mit den Bürgern zu regeln“, sagt sie und begründet: „Die zwei Hausbesitzer hatten Sorge für Anfeindungen und der Unterstellung, dass sie von den Enteignungen profitiert hätten.“

„Kontroverse Diskussionen sind wichtig“

Der Bildhauer Gunter Demnig kennt ähnliche Diskussionen aus anderen Städten: „In Hamburg hat der damalige Oberbürgermeister Ole von Beust die Stolpersteine auch gegen Widerstand durchgesetzt. Er begründete, dass das Trottoir ein öffentlicher Raum ist und die Hausbesitzer in dieser Sache keinen Einfluss ausüben können. In kleineren Städten wird auf Bedenken hingegen häufiger Rücksicht genommen.“

Demnig begrüßt kontroverse Diskussionen zum Umgang mit Erinnerungskultur. „Dieser Prozess ist Teil der Stolpersteine, die ich nicht ausschließlich als Kunstobjekt, sondern vielmehr noch als soziale Skulptur verstehe“, so der Bildhauer.

In Billerbeck wollen die Schüler nun einen erneuten Vorstoß für die „Stolpersteine“ unternehmen. „Wir wissen, dass Sie sich vor einigen Jahren noch nicht für die Verlegung entscheiden konnten, doch die zunehmenden aggressiven Aktivitäten von rechts machen unserer Meinung nach deutliche Zeichen notwendig und die Stolpersteine eignen sich besonders gut für eine klare Positionierung und Stärkung des demokratischen Zusammenhalts in unserer Stadt“, heißt es in dem Antrag an die Adresse der Ratsmitglieder.

Ende Februar wird der Stadtrat erneut über die „Stolpersteine“ entscheiden. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die durch das Engagement der Schüler entstanden ist, hat schon jetzt für einen veränderte Haltung gesorgt. Bürgermeisterin Marion Dirks sagte gegenüber westfalenspiegel.de, dass sie nun für die Verlegung der Steine stimmen wolle.

wsp

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