Europa im Klassenzimmer
Die Initiative „Ruhrpott für Europa“ macht Jugendliche fit für die EU-Wahl. Darin erklärt Milad Tabesch jungen Menschen, warum sie wählen gehen sollten.
Bei der EU-Wahl dürfen erstmals auch 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben. Milad Tabesch erklärt Jugendlichen im Ruhrgebiet, was das „Raumschiff Europa“, als das das Parlament mitunter wahrgenommen, wird, mit ihnen zu tun hat. Dabei muss er zunächst einige Hürden überwinden. „Die Schülerinnen und Schüler warten nicht unbedingt darauf, dass jemand sie für Europa begeistert. Sie sind mitunter verwirrt, wenn ich mit meiner offensichtlichen Migrationsbiografie mit ihnen nicht über Rassismus, sondern über Europa und die EU spreche“, erzählt er von den Schulworkshops. Der 27-jährige Bochumer mit afghanischen Wurzeln hat die Initiative „Ruhrpott für Europa“ gegründet und ist nicht nur kurz vor der EU-Wahl in Klassenzimmern zwischen Dorsten und Hagen, Duisburg und Dortmund unterwegs.
Der Aktivist hat in mehreren Ländern studiert und wurde durch Stiftungen gefördert. Vor allem aber hat er in vielen Gesprächen mit Jugendlichen erfahren, dass die Perspektiven auf Europa höchst unterschiedlich ausfallen können. „Themen wie unkompliziertes Reisen oder Erasmus-Stipendien für Austauschsemester spielen im Leben mancher Schülerinnen und Schüler keine Rolle, weil sie vielleicht noch nie außerhalb ihrer Stadt unterwegs waren oder weil ein Studium für sie kein Thema ist. Auf der anderen Seite haben einige junge Menschen anhand der Fluchtgeschichte ihrer Familie unmittelbar erfahren, wie groß der Wert eines Lebens in Freiheit und Würde ist. Da ist man dann gleich bei der europäischen Idee.“
Junge Wähler in der Minderzahl
Tabesch wünscht sich gerade im Ruhrgebiet mehr Selbstbewusstsein in Sachen Europa. „Es waren unsere Vorfahren im Ruhrpott, die Impulse für die europäische Integration gegeben haben. Dass dies nur wenigen bewusst ist, das ärgert mich“, sagt er. In den Klassenzimmern macht der Europa-Aktivist ganz praktische Experimente, um Jugendlichen zu erklären, welchen Einfluss sie bei Wahlen haben. So bildet er das Verhältnis zwischen jungen und älteren Wahlberechtigten nach, um zu zeigen, dass die Unter-30-Jährigen deutlich in der Minderzahl sind. „Dann sehen die Jugendlichen ganz klar, warum ihre Stimme zählt“, beobachtet Tabesch.
Die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigte kürzlich, dass viele junge Menschen unzufrieden mit den politischen Verhältnissen sind und rechtsextremen Parteien ihre Stimme geben wollen. Begünstigt wird diese Tendenz durch eine Perspektivlosigkeit, die von verschiedenen Faktoren verstärkt wird. Die Inflation und teurer Wohnraum, die Kriege in Nahost und in der Ukraine sowie der Klimawandel bereiten den 14- bis 29-Jährigen Sorgen, heißt es.
„Junge Ruhrpott Agenda für Europa“
Milad Tabesch setzt sich mit „Ruhrpott für Europa“ dafür ein, Jugendlichen Gehör zu verschaffen. In der „Junge Ruhrpott Agenda für Europa“, einer Art Manifest, sammelt die Initiative die Erfahrungen und Überzeugungen junger Menschen. Es geht zum Beispiel darum, was in Europa besser werden muss (zum Beispiel das Wahlrecht für Menschen mit ausländischem Pass) und was sie Europa-Politikern mit auf den Weg geben wollen (zum Beispiel mehr Ergebnisse weniger Versprechen). Milad Tabesch ist bei aller Kritik optimistisch: „Ich bin noch nie aus einer Schulklasse rausgekommen und war desillusioniert. Die Jugendlichen sind neugierig und haben Fragen.“
Annette Kiehl, wsp
Lesen Sie mehr zu „Jugend wählt Europa“ in der nächsten WESTFALENSPIEGEL-Ausgabe 03/2024, die Ende Mai erscheint.