Elmar Brok wurde 1946 in Verl geboren und ist in Schloss Holte aufgewachsen. Er war von 1980 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und von 1999 bis 2007 sowie von 2012 bis 2017 Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. In dieser Funktion verhandelte Brok während des Euromaidan 2013/14 in der Ukraine. Foto: Frank Nitschke
24.05.2024

„Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft“

Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL spricht der langjährige Europapolitiker Elmar Brok (CDU) über die Bedeutung der Europawahl für Westfalen, die zukünftigen Herausforderungen und seinen Abschied aus dem Parlament.

 

Herr Brok, Sie haben Europa zu Ihrem Lebensinhalt gemacht. Was fasziniert Sie an dieser Idee?
Ich bin 1946, ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, geboren. Meine Generation hat gesehen, dass uns Europa in den folgenden Jahren und Jahrzehnten Freiheit, Frieden und Wohlstand gebracht hat. Als Jugendlicher war ich fasziniert von der europäischen Idee, so dass ich als Zwölfjähriger dem Paneuropa-Pionier Richard Coudenhove-Kalergi einen Brief geschrieben und ihn um Material zu Europa gebeten habe. Begeistert hat mich vier Jahre später die Bemerkung des US-Historikers Craig, Konrad Adenauer habe als erster deutscher Politiker die engen Grenzen nationalen Denkens überwunden. Deshalb bin ich 1964 in die Junge Union eingetreten. Ich bin also nicht erst Politiker geworden und habe mir dann ein Thema gesucht. Es ging mir immer um die Sache, um das Friedensprojekt Europa. Der Gedanke, für ein Parlament zu kandidieren, kam erst viel später.

Wie kamen Sie aus dem ostwestfälischen Dorf Schloß Holte nach Brüssel?
Geschichte und damit Politik fanden mein Interesse. Nach einem Studienjahr in Edinburgh und nach einem Volontariat beim Deutschlandfunk und durch die Prägung durch unseren Bundestagsabgeordneten Rainer Barzel nahm das Schicksal seinen Lauf. Ernsthaft an Politik und Mandat habe ich erst nach den Erlebnissen bei den kommunistischen Weltjugendspielen in Ost-Berlin gedacht. An ein direkt gewähltes Europäisches Parlament dachte damals niemand. Und als ich 1980 in das im Jahr zuvor erstmalig gewählte Europäische Parlament einrückte, hatte es fast nur beratende Aufgaben und die EU war nicht viel mehr als eine Zollunion.

Heute steht die EU vor ganz anderen Herausforderungen. In der Ukraine, also vor der Haustür der EU, führt Russland einen Angriffskrieg.
Russlands Präsident Putin führt bewusst einen menschenverachtenden Krieg in der Ukraine.  Ich kenne die Ukraine gut und habe schon vor einigen Jahren befürchtet, dass es so kommen wird. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass ich Unrecht gehabt hätte. Angesichts dieser und weiterer Krisen spüren die Menschen aber auch, dass es um etwas geht: Europa ist kein theoretisches Konstrukt, das Geld kostet, sondern eine Schicksalsgemeinschaft. Was mir in diesen Zeiten Hoffnung gibt, ist, wie sich Europa und die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben, mit einem gemeinsamen Binnenmarkt, um nur ein Beispiel zu nennen.

Ostwestfalen ist Standort zahlreicher Unternehmen, die vom Binnenmarkt profitieren. Trotzdem wurde OWL seit ihrem Abschied vor fünf Jahren aus dem EU-Parlament von keinem Abgeordneten in Brüssel vertreten.
Ich will hier zunächst deutlich sagen, wie stark Ostwestfalen, aber auch ganz Deutschland von Europa profitiert. In der Region hatten wir vor gut 40 Jahren circa 15 bis 25 Prozent Exportanteil am Umsatz, heute sind es 50 bis 70 Prozent. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt unmittelbar mit der EU zusammen. Wenn die deutsche Wirtschaft nur noch an nationalen Grenzen orientiert wäre, dann wären wir ein Armenhaus. Es war ein somit ein großer Verlust, dass Ostwestfalen-Lippe in den vergangenen fünf Jahren nicht mit einem eigenen Abgeordneten in Brüssel vertreten war. Es braucht dort einen Ansprechpartner für Unternehmen aus der Region. Es geht auch darum Fördermittel zu besorgen, den politischen Austausch zu pflegen und Anliegen aus der Wirtschaft weiterzutragen. Verena Mertens, die Paderborner CDU-Kandidatin, hat gute Chancen, in das EU-Parlament einzuziehen und es freut mich, dass wir bald mit einer jungen Frau aus der Region im Parlament endlich wieder vertreten sein werden. Gehen Sie bitte wählen. Das EP entscheidet inzwischen über alle Gesetze und die Kommission. Aber wählen Sie demokratisch.

Sie haben sich 2019 nach fast vier Jahrzehnten als Abgeordneter aus dem EU-Parlament verabschiedet. Vermissen Sie das Amt?
Ich habe die Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, gemeinsam mit meiner Frau getroffen. Heute bin ich froh, dass ich mein Abgeordnetenmandat vor fünf Jahren niedergelegt habe. Die politische Landschaft hat sich verändert: Die Fronten sind oft verhärtet und der Ton ist rauer geworden, auch was die Auseinandersetzung in den sozialen Medien angeht. Damit ist es viel schwieriger geworden, Kompromisse, die mir stets am Herzen gelegen haben, zu erzielen. Als Präsident der Christlich Demokratischen Internationale und Mitglied des Vorstandes der Europäischen Volkspartei bin ich aber immer noch viel in der Welt unterwegs und tausche mich gern mit Freunden aus der Politik aus; übrigens über Parteigrenzen hinweg. Und was ich gar nicht vermisse sind die Sitzungstermine um 8 Uhr morgens. Ich genieße meine Freiheit, aber kämpfe doch weiter für die Freiheit Europas und gegen die Nationalisten, die immer Unheil über unser Land gebracht haben.

Interview: Annette Kiehl, wsp

Mehr zum Thema Europawahl in Westfalen und zur Frage, ob Ostwestfalen-Lippe bald wieder im EU-Parlament vertreten sein wird, lesen Sie im neuen WESTFALENSPIEGEL 03/2024, der am 1. Juni 2024 erscheint.

Elmar Brok hat mit Co-Autor Peter Köpf das Buch „Verspielt Europa nicht!“ im Europa Verlag veröffentlicht. 

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