Europawahl: Jede Stimme zählt
Etwa vier Wochen sind es noch bis zur Europawahl. Zum Auftakt unserer Serie haben wir mit einer Politikwissenschaftlerin der Ruhr-Universität Bochum über den Einfluss des EU-Parlaments auf das Leben der Menschen in Westfalen gesprochen.
In diesen Tagen flattern die Wahlbenachrichtigungen für die Europawahl am 9. Juni in die Briefkästen von rund 13,8 Millionen Wahlberechtigten in NRW. Sie sind aufgerufen, ihre Stimme für das Europaparlament abzugeben. 34 Parteien stehen dabei zur Auswahl. Aber nicht wenige Bürgerinnen und Bürger fragen sich: Warum soll ich eigentlich zur Wahl gehen?
Die EU-Wahl hat ein Mobilisierungsproblem, sagt Louisa Süß, Politikwissenschaftlerin der Ruhr-Universität Bochum. Das zeigt sich auch an der Wahlbeteiligung. So gaben 2019 bei der vergangenen EU-Wahl in Nordrhein-Westfalen rund 61 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, bei der letzten Bundestagswahl 2021 waren es mehr als 76 Prozent. „In der Wahrnehmung zahlreicher Bürgerinnen und Bürger hat der Ausgang der Bundestagswahl einen direkteren Einfluss auf ihr Leben als der Ausgang der Wahlen zum Europaparlament. Doch dieser Eindruck ist nicht ganz richtig. Die EU und das Europaparlament entscheiden über wichtige Dinge in unserem Leben etwa zum Thema Verbraucherschutz“, sagt Süß. Konkrete Beispiele seien etwa der Beschluss zu einheitlichen Anschlüssen für Ladekabel an Smartphones oder die Stärkung des Rechts auf Reparaturen, die im EU-Parlament verabschiedet wurden.
Einziges direkt gewähltes EU-Organ
Und auch wenn das EU-Parlament kein Initiativrecht habe, um beispielsweise Gesetzesvorschläge auf den Weg zu bringen, so hat es doch typische Hoheitsrechte und ist daher von großer Bedeutung für die Menschen, die in Europa leben, so Süß weiter: „Das Parlament in Brüssel wählt zum Beispiel die EU-Kommission, es verabschiedet Rechtsvorschriften und es vertritt die Interessen von fast 500 Millionen Menschen.“ Und: Es ist das einzige von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte EU-Organ.
Zudem fließen auch hohe Fördersummen etwa aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in die Region. So konnte der Kreis Borken Mittel aus diesem Programm etwa für das Projekt „Wasserrobuste Städte“ abrufen, in dem sich mehrere Städte den Herausforderungen des Klimawandels stellen. In Bielfeld unterstützt die EU das Projekt „Arbeit 4.0.“ mit 1,7 Millionen Euro, wodurch eine verbesserte Ausstattung und der Ausbau der digitalen Infrastruktur der sechs Bielefelder Berufskollegs gefördert wird. Und im Kreis Soest können Mittel aus der EU in einem Projekt zur Stärkung der Digitalkompetenz der Unternehmen im produzierenden Gewerbe eingesetzt werden. Weitere Beispiele sind nachzulesen auf der Webseite „Was tut die EU für mich“.
Wahlkampfthemen nicht klar
„Diese positiven Beispiele werden in der Öffentlichkeit leider viel zu selten wahrgenommen“, sagt Süß. Stattdessen stehen Aufregerthemen wie die inzwischen außer Kraft getretene „Gurkenverordnung“ im Fokus. Diese hatte unter anderem festlegt, dass eine Gurke der Handelsklasse „Extra“ maximal eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen durfte.
Lesen Sie hier noch einmal die Ergebnisse der Europawahl 2019 nach. Wer waren die Gewinner, wer die Verlierer: Kein Vertreter aus OWL im EU-Parlament
Ein weiterer Grund für die geringere Aufmerksamkeit der Wahlen zum Europaparlament könnte auch der weniger zugespitzte Wahlkampf sein. „Während die Themen und die Positionen der Parteien dazu bei Bundestagswahlen klar erkennbar sind, liest man etwa auf den Wahlplakaten zur EU-Wahl häufig allgemeine Aussagen“, so die Politikwissenschaftlerin Süß. Als große aktuelle Themen der Europawahl sieht sie den Diskurs um Frieden in Europa und wie dieser erreicht werden kann, sowie die Rolle, die die EU gerade auch in Sicherheitsfragen in der Welt spielen möchte. Aber auch soziale Themen stehen auf der Agenda.
Die Politikwissenschaftlerin sieht auch die Abgeordneten im EU-Parlament in der Pflicht mehr von ihrer Arbeit in den Heimatregionen zu berichten, um die Bedeutung der EU-Wahl aufzuwerten. „Einige machen das bereits vorbildlich, bei anderen ist sicher noch Luft nach oben“, sagt Süß. In der jetzt ablaufenden Legislaturperiode sitzen 19 Frauen und Männer aus NRW im Brüsseler Parlament.
Jürgen Bröker, wsp