Ewald Lienen - "Ich war schon immer ein Rebell". Collage: wsp
17.03.2020

Ewald Lienen – der Rebell von nebenan

Ewald Lienen ist ein Original. Der ehemalige Fußballprofi, Trainer und Funktionär hat ein lesenswertes Fußballbuch geschrieben. 

Dies ist kein normales Fußballbuch, das sich ein Verlag ausgedacht hat, um damit Kasse zu machen. Oder die egomanische Selbstbeweihräucherung eines Idols, das sich buchstäblich unsterblich machen will. Der Impuls, „Ich war schon immer ein Rebell“ zu schreiben, war ein anderer. Ewald Lienen suchte, wie er sagte, eine Herausforderung, um mehr über seine Gefühle und sein Leben mit dem Fußball zu sagen als in einem Kurzinterview oder einem Fünf-Minuten-Fernsehfeature möglich ist. Der Fußball allein war ihm, so die Kernaussage seines Buches, nie genug.

Und zu erzählen hat Lienen wahrlich viel. Über seine aktive Zeit als Fußballer, seine Zeit als Trainer im In- und Ausland, aber auch über sein politisches und soziales Engagement und die Anfeindungen, die einem Außenseiter wie ihm abseits des Platzes entgegengebracht wurden. Heute arbeitet der 65-Jährige als Technischer Direktor für den FC St. Pauli, einen Verein, der maßgeschneidert zu ihm passt und den er zuvor als Trainer vor dem Abstieg bewahrt hatte.

Das „brutalste Foul der Bundesliga“

Und da ist natürlich die unwiederbringliche Szene, die jedem Fan im Gedächtnis geblieben ist. Sie machte Lienen in Deutschland und auch im Ausland bekannt: Am 14. August 1981 wurde er das Opfer einer überharten Attacke des Werder-Bremen-Spielers Norbert Siegmann. Die Blutgrätsche ging als das „brutalste Foul der Bundesliga“ in die Sportgeschichte ein. Siegmann soll zuvor vom Trainer Otto Rehhagel dazu angestachelt worden sein, Lienen härter zu attackieren. Das Ergebnis war, dass Siegmann dem damaligen Linksaußen von Arminia Bielefeld mit dem Stollen den Oberschenkel aufschlitzte und eine 25 cm lange, tiefe Risswunde zufügte. Lienen stürzte im Affekt auf Rehhagel los und beschuldigte ihn der Mittäterschaft – alles vor laufenden Fernsehkameras.

Ewald Lienen hat ein beachtenswertes Fußballbuch geschrieben: "Ich war schon immer ein Rebell". Fotoausschnitt: Buchcover

Ewald Lienen hat ein beachtenswertes Fußballbuch geschrieben: „Ich war schon immer ein Rebell“. Fotoausschnitt: Buchcover

Lienen widmet diesem Foul ein eigenes Kapitel seines Buchs. Es ging ihm damals, wie er darlegt, nicht darum, einen einzelnen Spieler oder Trainer an den Pranger zu stellen. Er geißelte vielmehr die gängige Praxis damaliger Abwehrspieler, ballgewandte Stürmer durch übelste Fouls aus dem Spiel zu nehmen. In Zeiten, in denen Fernsehkameras noch nicht jede Aktion genau dokumentierten, kamen die „Eisenfüße“ meist ungeschoren davon. Lienen wertet es heute als Glück, dass solche Attacken für ihn glimpflich endeten. Außer beim besagten Foul trug er „nur“ einen Mittelfußbruch davon. Für andere Spieler bedeutete das überharte Einsteigen ihrer Gegenspieler nicht selten das Ende ihrer Karriere. Lienen wollte sich für den Fair-Play-Gedanken stark machen und für die Freude am Fußballspiel – ein Standpunkt, der heute vermutlich als naives Wunschdenken abgetan wird.

Zuhause beim VfB Schloß Holte gefunden

Zu den eindrücklichsten Passagen von „Ich war schon immer ein Rebell“ zählen Lienens Schilderungen seiner Kindheit und Jugend im ostwestfälischen Schloß Holte. Er beschreibt, was es hieß, in einfachsten Verhältnissen in einem Mehrgenerationenhaushalt aufzuwachsen, schon früh seine Mutter zu verlieren und lange Jahre vom Vater ignoriert zu werden, der sich, kriegstraumatisiert und selbst vaterlos aufgewachsen, der Erziehung und dem Familienleben entzog. Der Verein VfB Schloß Holte bot dem Talent das, was es zu Hause nur bedingt vorfand, ein motivierendes Wir-Gefühl.

Es blieb nicht aus, dass der begabte Spieler bald entdeckt wurde und aus dem engen Dunstkreis seines Dorfvereins heraustrat. Nach dem Abitur in Bielefeld schloss sich Lienen der dortigen Arminia an und spielte in der ersten und zweiten Bundesliga. Der Mannschaftsgeist bei den Profis war ihm anfangs fremd, da es auch hier nicht um das Spiel selbst ging, sondern um Hierarchien, Eitelkeiten, Macht, Geld und auch um das Niedermachen von Spielern, die eine andere Auffassung vertraten. Der langhaarige Kriegsdienstverweigerer Lienen, der seine linkspolitische Haltung offen vertrat, hatte es schwer, akzeptiert zu werden.

Kritik an Berti Vogts

Lienen kam mit nahezu allen großen Spielern seiner Zeit in Kontakt. In seinem Buch nimmt er kein Blatt vor den Mund und kritisiert Spieler, die ihm das Leben zur Hölle machten. Das waren beispielsweise Berti Vogts und Friedel Rausch.

Neben Arminia Bielefeld und Borussia Mönchengladbach wurde der MSV Duisburg der dritte Club, bei dem Lienen heimisch wurde, als Spieler, Spielertrainer und schließlich als Hauptverantwortlicher für den Spielbetrieb – fast ein 24-Stunden-Job, wie er schreibt. Die sportlichen Erfolge, ob als Spieler oder später als Trainer, waren jedoch nur die eine Seite. Von ebenso großer Bedeutung waren Lienens Aktivitäten außerhalb des Spielfelds. Er engagierte sich für Behinderte, in der Friedensbewegung, gegen Atomenergie und für Umweltschutz, war Teilnehmer auf Demos, hielt politische Vorträge, kandidierte 1985 für den Landtag in NRW und war 1987 Gründungsmitglied bei der Gewerkschaft „Vereinigung der Vertragsfußballspieler“, der ersten deutschen Interessenvertretung seiner Zunft.

Kein Ghostwriter

Erschienen ist „Ich war schon immer ein Rebell: Mein Leben mit dem Fußball“ im Piper Ver­ lag zum Preis von 22 Euro. ISBN: 978­3492059473

Erschienen ist „Ich war schon immer ein Rebell: Mein Leben mit dem Fußball“ im Piper Ver­lag zum Preis von 22 Euro. ISBN: 978­3492059473

„Ich war schon immer ein Rebell“ stammt aus Lienens eigener Feder, er bediente sich also nicht, wie sonst üblich, eines Ghostwriters. Es ist ein spannendes, informatives Buch, das man, einmal angefangen, gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Und das gilt sicherlich auch für Leser, die dem Fußball wenig abgewinnen können. Wir lernen ein Original kennen, wie es im heutigen Sportgeschehen selten geworden ist: ehrlich, bescheiden, authentisch und sozial geprägt. Jemanden, der selbstkritisch seine eigenen Schwächen nicht ausblendet, der über den Tellerrand hinausblickt und sich nicht verbiegen lässt. Genau so blickt uns Lienen vom Cover seines Buchs entgegen: geradeheraus, aufrichtig und selbstbewusst. Um es mit den Worten des Fußball-Magazins „11 Freunde“ zu sagen: „Lienen wollte stets Mensch bleiben, bei aller Härte des Geschäfts. Das Buch gibt beeindruckendes Zeugnis, dass ihm das gelungen ist.“

Walter Gödden

Dieser Text erschien zuerst in Heft 5/2019 des WESTFALENSPIEGEL.

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