
Exklusiv und außergewöhnlich
Beate Flath und Christoph Jacke forschen an der Universität Paderborn über Festivals. Die Branche verändert sich, so ihre Beobachtung. Und das hat auch, aber nicht nur mit der Corona-Pandemie zu tun, sagen sie im Interview.
Frau Flath, Herr Jacke, laut der Website „Festival-Alarm“ gibt es fast 600 Musikfestivals in Deutschland. Wie entwickelt sich die Zahl der Festivals?
Beate Flath: Tendenziell wird die Festivallandschaft vielfältiger. Das hat auch damit zu tun, dass Regionen und Städte versuchen, mit Kulturveranstaltungen wie Festivals das jeweilige Image zu prägen und Wertschöpfung zu generieren. Kultur ist damit auch ein Wirtschafts- und ein Standortfaktor.
Christoph Jacke: Ob Musik, Literatur oder Theater: Festivals sind inzwischen auch für die Kulturpolitik und für staatliche Förderung attraktiv geworden. Früher bei Woodstock war das noch unklar und alles andere als „staatlich“ anerkannt. Mittlerweile ist eine Etablierung zu erkennen, die auch zu der hohen Zahl von Festivals beiträgt. Sie sind Orte der Vergemeinschaftung und Kommunikation sowie auch zu einem Werkzeug für die Städte geworden, um mit etwas Besonderem die Leute anzuziehen.
Warum werden immer mehr Veranstaltungen „Festival“ genannt?
Beate Flath: Der Begriff „Festival“ ist in der Außenwirkung kraftvoller als zum Beispiel der Begriff „Konzertreihe“. Sich Festival zu nennen, ist auch eine Möglichkeit für Veranstalterinnen und Veranstalter, sich mit Blick auf öffentliche und private Geldgeber interessanter zu positionieren.
Welche Festivaltypen boomen?
Beate Flath: Erfolgreich sind die Festivals, die exklusiv oder außergewöhnlich sind in Bezug auf beispielsweise die Location, die Künstlerinnen und Künstler oder zusätzliche Attraktionen. Bei vielen Festivals gibt es schon lange nicht mehr nur Musik, sondern Angebote vom Strickkurs über Yoga bis zur Hüpfburg, je nachdem, welche Zielgruppe angesprochen werden soll. Ein Trend ist es, dass Veranstalterinnen und Veranstalter an einer Besonderheit arbeiten, so dass sie in einer Nische erfolgreich sein können. Doch auch große Festivals werden aus meiner Sicht weiter erfolgreich sein und bis zu einem gewissen Grad auch boomen, weil sie den Vorteil haben, mit einer ganz anderen Organisations- und Finanzierungsstruktur zu arbeiten und vor diesem Hintergrund auch Krisen besser bewältigen zu können.
Christoph Jacke: Es ist auffallend, dass zum kulturellen Angebot auf Festivals immer mehr Bildungsangebote kommen: Workshops, Gespräche mit Künstlerinnen und Künstlern, runde Tische mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität oder zum Hochkultur – und Popbegriff. Die eigene Reflexion wird sozusagen gleich mit eingebaut.
Was zeichnet ein gutes Festival aus?
Christoph Jacke: Wenn ein Veranstalter den Spagat hinbekommt zwischen Wiederkehrendem und Spektakulärem. Ein herausragendes Festival schafft es, über die Jahre ein gewisses Vertrauen, etwas Familiäres aufzubauen und gleichzeitig nicht alltäglich zu sein. Als 1997 das Orange Blossom Festival in Beverungen startete, war die Stadt noch nicht überzeugt. Heute ist es Kult, ein zentrales Kulturereignis für die ganze Region. So etwas braucht Zeit, das entsteht nicht nach zwei oder drei Jahren.
Beate Flath: Was das Orange Blossom Festival so gut und besonders macht, ist, dass es für alle Beteiligten funktioniert: Das Publikum kann sich darauf verlassen, dass es ein großartiges Line-up mit handverlesenen Bands gibt. Die Bewohnerinnen und Bewohner wissen, dass mit ihnen respektvoll umgegangen wird. Die lokalen Gewerbetreibenden werden eingebunden. Die unterschiedlichen Interessen aller beteiligten Akteure, auch der Organisatoren, Künstlerinnen und Künstler, sind gut ausbalanciert.

Prof. Dr. Beate Flath ist Professorin für Eventmanagement mit den Schwerpunkten Popmusikkulturen und digitale Medienkulturen an der Universität Paderborn und geschäftsführende Direktorin des Forschungszentrums „C:POP. Transdisciplinary Research Center for Popular Music Cultures and Creative Economies“. Foto: Harald Morsch
Welche Auswirkungen haben die Krisen unserer Zeit auf Festivals?
Beate Flath: Ganz massive. Seit Corona steht die Festivalszene unter Druck. Es gibt einen Fachkräftemangel, weil sich viele während der Coronakrise einen anderen Job gesucht haben. Ein großes Thema ist auch die Energiekrise, da Festivals sehr oft sehr energieintensiv sind. Und das Publikumsverhalten hat sich geändert, nicht zuletzt aufgrund der bedrohlichen und verunsichernden Weltlage.
Christoph Jacke: Das sehen wir auch bei unseren Studierenden, vor allem seit der Pandemie: Ein Festival- oder Konzertbesuch ist für viele jüngere Leuten sehr teuer und aufwendig. Sie treffen sich auch gerne mit Freundinnen und Freunden in den eigenen vier Wänden und konsumieren Kultur digital. Dieser Trend scheint sich zu verstetigen. Dagegen arbeiten die Festivals eben mit dem hier ganz analogen Mehrwert Familien- oder Freundschaftscharakter an.
Inwieweit setzen Veranstalter auf Nachhaltigkeit?
Christoph Jacke: Das ist in der Branche ein Riesenthema. Doch gerade die großen Player sind oft noch nicht sehr nachhaltig. Das betrifft nicht nur den Strom und die Flüge, mit denen Künstlerinnen und Künstler durch die Weltgeschichte fliegen, sondern auch andere Arten der Nachhaltigkeit wie Soziales und Kulturelles. Das heißt aber nicht, dass Veranstalter nur noch DJs und Bands aus ihrer Nähe nehmen müssen, weil die mit dem Fahrrad kommen können. Sondern es stellt sich die Frage, wie man Tourneen mit Weltstars der Kunst, Literatur und Musik besser organisiert. Dass sie nicht erst in Dortmund, dann in Toronto, Istanbul und dann etwa wieder in Münster sind, sondern erst mal in Münster, Dortmund, Hannover und Köln. Netzwerke sollten noch besser ausgenutzt werden. Das klingt trivial, aber das wurde in den Tourneeplanungen bisher oft nicht berücksichtigt.

Prof. Dr. Christoph Jacke ist an der Universität Paderborn verantwortlich für die Studiengänge „Populäre Musik und Medien“ sowie stellvertretender geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums „C:POP“. Foto: Stefanie Kulisch
Wie sieht die Zukunft der Festivals aus?
Christoph Jacke: Selbst bei Festivals, wo früher die Tickets innerhalb von wenigen Minuten weggingen, bekommt man mit, dass auch kurzfristig noch Karten zu erhalten sind. Veranstaltungen mit den ganz großen Stars wie Taylor Swift laufen super, aber viele andere im publikumsmäßig mittleren und niedrigem Sektor erzielen nicht (mehr) genug Einnahmen. Bei den Veranstaltern wächst das Bedürfnis, sich staatlich fördern zu lassen. Und auch der Staat hat längst erkannt, dass Kulturförderung demokratierelevant ist und auch ein Metal-Festival etwas Vergemeinschaftendes hat.
Beate Flath: Noch laufen insbesondere die großen Festivals oder etablierte Festivals relativ gut, aber natürlich setzen sich viele Veranstalterinnen und Veranstalter mit aktuellen Fragen auseinander: Wie gehen wir mit den genannten Herausforderungen um, zum Beispiel in Hinblick auf Preispolitik? Will ich mein Festival hybrider gestalten, um Menschen im digitalen Raum abzuholen? Wie kann ich mein Festival nachhaltiger gestalten? Festivals sind Anlässe, Menschen zusammenzubringen und gemeinschaftsbildend zu wirken, und das ist es, was es vor dem Hintergrund zunehmender gesellschaftlicher Spaltung braucht und auch in Zukunft brauchen wird.
Interview: Martin Zehren / wsp
Dies ist ein leicht gekürzter Auszug aus einem Interview aus dem Magazin 03/2024 des WESTFALENSPIEGEL.