Die Zahl der Insolvenzen ist im ersten Quartal in Westfalen gesunken. Doch die Corona-Folgen sind in der Statistik noch nicht berücksichtigt. Foto: pixabay
10.06.2020

Experte: Corona-Pleitewelle kommt zeitverzögert

Im 1. Quartal 2020 sind weniger Unternehmen in Westfalen Pleite gegangen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Experten warnen aber: Das dicke Corona-Ende kommt noch.

566 Unternehmen in Westfalen haben nach Angaben des Statistischen Landesamtes in den ersten drei Monaten des Jahres Insolvenz angemeldet. Das sind rund elf Prozent weniger als ein Jahr zuvor. „Klar ist, dass sich die Auswirkungen der Corona-Krise in der aktuellen Statistik noch nicht niederschlagen“, sagt Sven Wolf, Teamleiter Untenehmensförderung bei der IHK Nord Westfalen. Schließlich kam der coronabedingte Lockdown erst in der zweiten Märzhälfte.

Der Experte rechnet damit, dass die Krise zeitverzögert „ihre Opfer fordern wird“. Darauf deutet auch die hohe Nachfrage nach Beratungsangeboten der IHK hin. So hätten die Mitarbeiter der IHK Nord Westfalen seit dem Beginn des Lockdowns bis Ende Mai rund 14.500 Telefonate zum Thema Soforthilfen für Soloselbstständige und kleine Unternehmen geführt. Hinzu kommen noch einmal 3000 Telefonate, in denen es um Kurzarbeit ging. Die IHK Ostwestfalen hat 6500 Beratungsgespräche zum Thema Soforthilfe geführt.

Antragspflicht ist vorübergehend ausgesetzt

Ohne schwarzmalen zu wollen, glaubt Wolf daher, dass die Statistik für das zweite Quartal schon anders aussehen könnte. „Dann wird sich zeigen müssen, ob die Unterstützungsmaßnahmen und die nun wieder einsetzenden Lockerungen ausreichend und rechtzeitig waren“, sagt er. Eine kleine Durststrecke könnten die meisten Unternehmen überstehen, aber lange auf Pump leben könnten die wenigsten.

IHK-Experte Sven Wolf. Foto: IHK Nord Westfalen.

IHK-Experte Sven Wolf. Foto: IHK Nord Westfalen.

Die Bundesregierung hat zusätzlich zu weiteren Hilfen auch die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verabschiedet. Unternehmen, die ihre Rechnungen wegen der Folgen der Corona-Pandemie nicht bezahlen können, müssen nicht sofort einen Insolvenzantrag stellen. Das gibt den Betrieben etwas mehr Spielraum, zum Beispiel um mit Banken über Kredite zu verhandeln. „Das mag manchen Unternehmen temporär helfen, aber irgendwann müssen die Kredite ja auch wieder zurückgezahlt werden“, so Wolf.

Einzelne Branchen habe es schwer

Nicht jedes Unternehmen, jedes Geschäftsmodell wird die Krise überstehen. „Schwierig wird es vor allem für Unternehmen und Selbstständige, die wenig Eigenkapital haben, die als erstes von den Schließungen betroffen waren und die als letztes von den Lockerungen profitieren“, sagt er. Dazu gehören häufig Hotels, Gastronomiebetriebe, die Reisebranche, der Handel aber auch einzelne Dienstleistungen.

Im Kammerbezirk der IHK Nord Westfalen gibt es nicht wenige Betriebe, die nach der Wiedereröffnung schon wieder geschlossen haben. „Sie haben festgestellt, dass die Umsätze unter den aktuellen Einschränkungen nicht ausreichen, um die Kosten zu decken“, so Wolf.

Düstere Aussichten

Am Mittwoch (10.6.2020) stellte die IHK-Präsident Dr. Benedikt Hüffer die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage vor. Er sprach von einem „historischen Tiefpunkt“ in der wirtschaftlichen Entwicklung der Region: „Das bis vor kurzem noch sicher geglaubte Wachstum mit steigenden Steuereinnahmen und zunehmender Beschäftigung hat ein abruptes Ende gefunden.“ Die Unternehmen im Münsterland und in der Emscher-Lippe-Region beurteilten demnach ihre aktuelle Geschäftslage insgesamt so negativ wie noch nie in der langen Reihe der IHK-Umfragen, so die IHK Nord Westfalen. Gleichzeitig sei die Situation für deutlich mehr als die Hälfte der Unternehmen immer noch zumindest „befriedigend“ (41 Prozent) oder sogar „gut“ (21 Prozent). Die Aussichten fallen besonders düster aus: Knapp über die Hälfte der Betriebe erwartet eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in den nächsten zwölf Monaten.

jüb/wsp

Lesen Sie auch im Bereich "Politik / Wirtschaft"

Testen Sie den WESTFALENSPIEGEL

Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Dann überzeugen Sie sich von unserem Magazin