
Extremismus vorbeugen
54 Fachkräfte sind an Schulen in NRW im Einsatz. Sie beraten zum Beispiel bei Verschwörungstheorien, Antisemitismus oder auch Rassismusvorwürfen.
„Fachkraft für Systemische Extremismusprävention“ – die Berufsbezeichnung von Tino Orlishausen klingt kompliziert und seine Aufgabe ist nicht minder anspruchsvoll. Er unterstützt Schulen im Kampf gegen Radikalisierungstendenzen. Rechtsextremismus und Antisemitismus, aber auch Salafismus und Islamismus spielen dabei eine Rolle. „Ich werde zum Beispiel gerufen, wenn in einer Klasse verstärkt Verschwörungsmythen geäußert werden. Dann beobachte ich die Schülerinnen und Schüler über einen Tag oder auch länger. Mein Aufgabe ist es, Lehrkräfte, Schulleitungen und auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Schulen zu beraten, um gemeinsam tragfähige und nachhaltig wirksame Lösungen zu entwickeln“, erzählt er. Orlishausen ist Teil des Teams der Schulpsychologischen Beratungsstelle in Münster und für Schulen in der Stadt zuständig. Landesweit gibt es 54 SystEx-Fachkräften in NRW; für jeden Schulamtsbezirk einen Ansprechpartner bzw. eine Ansprechpartnerin. Voraussichtlich im August sollen weitere Fachkräfte eingestellt werden. NRW-Schulministerin Dorothee Feller erklärte dazu vor einigen Monaten: „Wir müssen alle noch mehr tun, um unsere Gesellschaft vor Extremisten zu schützen – und dazu gehört auch, dass wir in den Schulen zusätzliche Initiativen zur Prävention starten.“

System-Fachkräfte aus dem Regierungsbezirk Münster mit Dr. Petra Kostas-Hartmann. Foto: Bezirksregierung Münster
Für Orlishausen kam der Impuls, sich gegen Extremismus an Schulen zu engagieren, aus der persönlichen Erfahrung. Er war vor einigen Jahren als Geschichtslehrer in Wuppertal tätig, als dort die sogenannte „Scharia Polizei“ um den Salafistenprediger Pierre Vogel Anhänger auch auf Schulhöfen fand. „Wenn es um Verschwörungstheorien geht, sind klassische Maßnahmen aus dem Schulbetrieb selten erfolgreich. Mit Sanktionen, guten Argumenten oder auch einer Unterrichtsreihe zum Thema Demokratieförderung kommt man bei solchen komplexen Problemen nicht unbedingt weiter.“ Wichtig sei es, den Kontakt zu Schülerinnen und Schülern zu halten – auch wenn diese radikalen Weltbildern anhängen. „Ziel von Extremisten ist es, dass sich ihre Anhänger von der gewohnten Umgebung distanzieren. Deshalb gilt es zu verhindern, dass Täterinnen und Täter weiter abdriften“, sagt Orlishausen.
Fokus auf emotionale Bedürfnisse
Hinter dem Glauben an Verschwörungsmythen und extreme Weltbilder stehen häufig emotionale Bedürfnisse. „Es geht um Identitäten“, sagt Dr. Petra Kortas-Hartmann. Sie ist als Fachbeauftragte für Schulpsychologie in der Bezirksregierung Münster für die SystEx-Fachkräfte im Regierungsbezirk zuständig. Orlishausen beschreibt ein Beispiel aus dem Schulalltag: „Es gibt Jugendliche, die ein Bedürfnis nach Autorität und Hierarchien haben. Sie benötigen dann ein anderes identitätsstiftendes Umfeld, um dies zu befriedigen. Das könnte zum Beispiel in einem verantwortungsvollen Ehrenamt bei der Freiwilligen Feuerwehr passieren.“
Dieser Beitrag ist in Heft 2/2025 des WESTFALENSPIEGEL erschienen. Möchten Sie mehr lesen? Gerne senden wir Ihnen zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht es zum Schnupperabo.
2019 wurden die SystEx-Stellen eingerichtet. Mit der Corona-Pandemie, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sowie dem Hamas-Terroranschlag auf Israel im Herbst 2023 kamen ständig neue Herausforderungen auf Schulen und auf die Fachkräfte zu. Deren Expertise sei gefragt, berichtet Dr. Kortas-Hartmann. „Die Zusammenarbeit von Fachleuten mit unterschiedlichen Perspektiven ist ein Erfolgsmodell. Ebenfalls wichtig ist die Vertraulichkeit bei Beratungen. Das ermöglicht einen offenen Austausch vor Ort.“ Tino Orlishausen ist seit 2021 „SystExer“. Er berichtet von vielen positiven Erfahrungen an Schulen: „Da geht es in einem Fall vielleicht nur um die Formulierung eines Elternbriefs, dann aber um eine Überforderung aufgrund zahlreicher Probleme in einer Klasse oder auch um einen Rassismusvorwurf gegenüber einer Lehrkraft.“ Das Angebot habe sich etabliert. „Erfolgreich sind wir, wenn durch eine Beratung positive Veränderungen in einer Gruppe angestoßen werden und die Schule wieder zu einem Lernort für alle wird.“
Annette Kiehl