In nahezu allen Branchen fürchten die Unternehmen den zunehmenden Fachkräftemangel. Foto: Pixabay
05.05.2022

Fachkräftemangel wird zum Geschäftsrisiko

Serie zur Landtagswahl: Die Prognosen sehen düster aus, Tausende Fachkräfte werden den Unternehmen in der Region in den kommenden Jahren fehlen. Wie wollen die Parteien die Lücken schließen?

Schon in zehn Jahren könnte die Zahl der fehlenden Fachkräfte im Gebiet der IHK Nord Westfalen auf mehr als 100.000 anwachsen. Das geht aus dem Fachkräftemonitoring der Industrie- und Handelskammer NRW hervor. Allein im Bereich „Beruflich Qualifizierte mit kaufmännischer Ausrichtung“ könnten es demnach knapp 80.000 sein.

Die Liste kann weiter fortgesetzt werden. Im Sauerland werden bis 2032 rund 25.000 Fachkräfte fehlen, im Bereich der Kammer Dortmund knapp 50.000. Auch in Ostwestfalen wächst die Lücke diesen Prognosen zufolge auf mehr als 100.000. Dabei stehen nahezu alle Branchen und Betreibe unterschiedlicher Größe vor Herausforderungen. Sowohl große Konzerne als auch kleine Familienbetriebe aus Handel, Industrie und Dienstleistung fürchten nicht ausreichend qualifiziertes Personal zu finden. Studien zeigen, dass vor allem im Pflegebereich sowie im Gesundheitssektor große Lücken herrschen. Aber auch Bauhandwerker sind dringend gesucht.

Eine Umfrage der IHK zu Jahresbeginn hat ergeben, dass etwa 69 Prozent der Unternehmen im Fachkräftemangel inzwischen ein Geschäftsrisiko sehen. Zumal sich die Lage durch die Pandemie noch weiter verschärfen wird. Denn Corona hat zu rückläufigen Ausbildungszahlen geführt. Zudem gehen in den nächsten Jahren viele Arbeitnehmer aus den geburtenstarken Jahrgängen in Rente. In NRW sind allein 22 Prozent der Arbeitnehmer 55 Jahre oder älter.

Jürgen Bröker/wsp

Für unsere Serie zur Landtagswahl haben wir die fünf im Landtag vertretenen Parteien gefragt: Ingenieure verzweifelt gesucht – wie wollen Sie den Fachkräftemangel in Westfalen bekämpfen? Hier sind die Antworten:

Da sich unsere Arbeitswelt ständig ändert, müssen wir diesen Wandel mit und für die Menschen in Nordrhein-Westfalen gestalten. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, werden wir NRW zum Berufsausbildungsland Nummer 1 machen und eine Fachkräfte-Offensive starten. Für die Fachkräftesicherung müssen wir die Rahmenbedingungen der Aus- und Weiterbildung weiter verbessern, damit junge Menschen nicht nur die Chancen der akademischen, sondern auch die der beruflichen Bildung ergreifen. Wir wollen gerade mehr Frauen zu künftigen Fachkräften ausbilden und  die Meisterausbildung mit einem „Meister-Bonus“ in Höhe von 3000 Euro fördern. Zudem wollen wir eine weltweite nordrhein-westfälische Fachkräfteoffensive mit der Kampagne „Neue Chancen NRW“ starten. Die bereits von uns geschaffene Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung in Bonn wollen wir dafür weiter stärken.

Der Fachkräftemangel ist eine der großen Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort NRW. Wir unterstützen Handwerk, Mittelstand und Industrie bereits bei der Fachkräftegewinnung durch die neue Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung in Bonn. Den Wirkungsgrad der Fachstelle werden wir vorantreiben und sie zu einer echten Serviceagentur zur Fachkräftegewinnung für die NRW-Wirtschaft etablieren. Wir unterstützen die Pläne der neuen Bundesregierung, Fachkräfteeinwanderung zu vereinfachen. Die Verfahren zur Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen werden wir weiter verbessern, damit jeder entsprechend seiner Fähigkeiten eingesetzt und weiterqualifiziert werden kann. Wir wollen Planungs- und Genehmigungsprozesse für Infrastrukturvorhaben weiter beschleunigen und dazu Bürokratie abbauen, die Verwaltung als Ermöglicherin stärken sowie dem Fachkräftemangel im Planungsbereich ebenso entgegenwirken wie Missmanagement.

Den Fachkräftemangel bekämpfen wir am nachhaltigsten, indem wir in den Ausbau unseres Ausbildungssystems investieren. Eine gute Ausbildung ist ein überzeugender Weg zu einem Leben in Zufriedenheit. Deshalb werden wir eine Ausbildungsplatzgarantie in Nordrhein-Westfalen einführen. Finanziert wird diese, indem Betriebe, die ausbilden unterstützt werden und Betriebe, die nicht ausbilden, die Kosten tragen. So schaffen wir Anreize für mehr Ausbildungsplätze und stellen sicher, dass die Unternehmen, die in die Ausbildung von Fachkräften investieren, nicht allein das Risiko tragen. Alle Unternehmen brauchen Fachkräfte, aber nur einige bilden sie aus. Die Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen werden wir bestmöglich technisch wie personell ausstatten. Mit unserem Programm „Gute Berufskollegs 2030“ werden wir binnen weniger Jahre alle Berufskollegs sanieren, modernisieren und digitalisieren können. Berufskollegs sollen Orte werden, an denen man als Azubi stolz ist, zu lernen und die eingestellt sind auf immer neu entstehende Berufsbilder.

Der Fachkräftemangel ist in sehr vielen Branchen spürbar und wird in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Hier müssen wir verschiedene Gegenstrategien fahren. Besonders wichtig ist dabei die Ausschöpfung aller personellen Ressourcen. Insbesondere der Inklusive Arbeitsmarkt muss von privaten Arbeitgebern stärker ins Auge gefasst werden. Denn Menschen mit Behinderung sind oftmals sehr gut qualifiziert. Zudem lassen sich über Zuwanderung ebenfalls qualifizierte Arbeitskräfte gewinnen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in unserer Einwanderungspolitik und müssen Hürden endlich nachhaltig abbauen. Das hat die neue Bundesregierung erkannt. Prozesse für die Zuwanderung von (angehenden) Fachkräften müssen wir erleichtern. Zudem haben wir in Deutschland weiterhin viel mehr Ingenieure als Ingenieurinnen. Wir müssen unter anderem Kampagnen starten, um Frauen für Ingenieurberufe und technische Ausbildungsberufe zu gewinnen. Eine Berufs- und Studienorientierung frei von Geschlechterklischees ist hier sehr wichtig. Umfragen im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels zeigen, dass sich vor allem jüngere Frauen zunehmend Sorgen um den Umweltschutz und den Klimawandel machen. Als Ingenieurinnen und Technikerinnen könnten sie hier aktiv werden. Hier liegt noch ein großes Potenzial.

Insgesamt müssen Ausbildungen attraktiver werden – zum Beispiel durch familienfreundliche Teilzeitausbildung, vergünstigtes Azubi-Ticket und Lernendenwohnheime. Durch eine Ausbildungsgarantie und Stärkung von Verbundausbildungen wollen wir allen angehenden Auszubildenden ermöglichen, ihren Beruf tatsächlich zu erlernen. Das Weiterbildungssystem sollte auch nicht vergessen werden – Weiterbildung muss eine wirkliche Chance zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Durch eine verlässliche und steigende Finanzierung der Hochschulen wollen wir zudem dafür sorgen, dass mehr Studienplätze und Lehrende in wichtigen und nachgefragten Studiengängen zur Verfügung stehen. Dazu gehören zweifelsohne die Ingenieurwissenschaften, die von den Hochschulen weiter ausgebaut werden sollten.

Unsere Schüler zeigen unterschiedliche Begabungen, die es wertzuschätzen und zu fördern gilt. Die einseitige Propagierung der akademischen Ausbildung ist falsch. Sie führt oft zu einer verfehlten Berufswahl und trägt damit auch zu dem bestehenden Fachkräftemangel bei. Das deutsche duale Berufsausbildungssystem ist auf Grund seiner Leistungsfähigkeit international anerkannt. Es lebt von qualifizierten und geeigneten Schulabgängern. Deshalb müssen Hauptschulen, Realschulen und Sekundarschulen auf den Übergang zu Berufskollegs und in Ausbildungsberufe optimal vorbereiten. In der Folge stehen dann hochqualifizierte Bewerber für die berufliche Ausbildung und später als Fachkräfte zur Verfügung. Für den Arbeitsmarkt qualifizierte außereuropäische Zuwanderer mit hoher Integrationsbereitschaft sind uns willkommen. Bedingt durch eine im internationalen Vergleich hohe Steuer- und Abgabenlast sowie eine überbordende Bürokratie ist Deutschland für diese Zielgruppe immer unattraktiver geworden. Die Abwanderung von einheimischen, meist hoch qualifizierten Arbeitskräften ist mittels spezieller Rückkehrprogramme umzukehren.

Serie zur Landtagswahl

NRW hat einen neuen Landtag gewählt. In unserer Serie blicken wir aus westfälischer Perspektive auf Ergebnisse, Themen und Parteien.

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