Petra Landers auf ihrem Roller mit dem Kennzeichen, das an den ersten WM-Titel erinnert. Foto: Jürgen Bröker
20.07.2023

Kick it like Petra

Zum Start der Frauenfußball-Weltmeisterschaft stellen wir eine wahre Pionierin vor: Die Bochumerin Petra Landers zählte in den 1970er Jahren zu den ersten Fußballerinnen in Deutschland. Sie kämpfte gegen Vorurteile und für den Sieg auf dem Platz. Ein Porträt aus dem WESTFALENSPIEGEL 5/2020.

Die Geschichte der Fußballerin Petra Landers beginnt auf der Bluna-Wiese in Bochum. Hier hat sie schon als kleines Mädchen leidenschaftlich gern gegen den Ball getreten, hat gegrätscht und gejubelt und ist vom Gras verdreckt nach Hause gekommen. Damals zu Beginn der 1970er Jahren hat sie ihr Cousin zu ihren ersten Fußballabenteuern mitgenommen.

„Ich war immer allein unter Jungs. Aber das hat mir nichts ausgemacht, im Gegenteil. Die Jungs haben mich immer akzeptiert“, sagt sie. Petra Landers, 1962 in Bochum-Harpen geboren, gehört zu den Pionierinnen des Frauenfußballs. Dieser war 1955 vom Deutschen Fußballbund (DFB) verboten worden, auch weil Fußball als ungesund für Frauen galt. Erst 15 Jahre später beschloss der DFB-Bundestag – übrigens ein reiner Männerclub zu diesem Zeitpunkt – Frauen wieder das Fußballspiel zu erlauben.

Anfänge in der Jungenmannschaft

Als Landers auf der Bluna-Wiese zu kicken anfängt, weiß sie vom Verbot und dessen Aufhebung nichts. Sie spielt Fußball, weil es ihr Spaß macht. Auch dass sich aus dem Kick auf der einfachen Wiese einmal eine große Karriere entwickeln würde, konnte sie damals in den 1970er Jahren nicht erahnen. Davon geträumt hat sie jedenfalls nicht . „Es gab ja auch keine Frauen-Bundesliga oder -Nationalmannschaft von der ich hätte träumen können“, sagt sie.

Petra Landers (untere Reihe ganz rechts) spielte in der Frauennationalmannschaft und wurde 1989 Europameisterin. Foto: Imago/Werek

Petra Landers (untere Reihe ganz rechts) spielte in der Frauennationalmannschaft und wurde 1989 Europameisterin. Foto: Imago/Werek

Weil sie mehr und auch ambitionierter Fußball spielen wollte, schloss sich Landers mit zehn oder elf Jahren einem Verein an, dem FC Bochum. Es gab noch keine Mädchenmannschaften, also spielte sie bei den Jungs mit. Weder sie noch die Jungen kümmerte es, dass Landers das einzige Mädchen im Team war. „Ich bin immer akzeptiert worden. Die Sprüche kamen erst mit meinem Wechsel in eine Frauenmannschaft“, sagt sie. Mitte der 1970er Jahre war das. Ihr neuer Club, der TuS Harpen, hatte schon eine eigene Frauenmannschaft.

Bei ihren Spielen wurden die Frauen und jugendlichen Mädchen oft belächelt. Das sei doch unästhetisch, bekamen die Kickerinnen zu hören. Männliche Zuschauer forderten nach dem Abpfiff zudem zum Trikottausch auf. Die typischen Sprüche habe sie nie tief an sich herangelassen, sagt Landers. Genervt hat sie das trotzdem. Und sie war überrascht über die Ignoranz und die Ablehnung aus der Männerwelt. Aus ihrem gemeinsamen Spiel mit den Jungs kannte sie so etwas nicht.

Fußball gegen Widerstände

Auch einige ihrer Arbeitgeber brachten im Laufe der Zeit wenig Verständnis für ihre Fußballleidenschaft auf. Das begann schon während der ersten Ausbildung zur Arzthelferin. Als ihr Chef sie am Wochenende einsetzen wollte, sagte sie: „Da kann ich nicht, da spiele ich Fußball.“ Landers ging nicht zur Arbeit, sondern zum Fußball. Es folgte die Kündigung. Noch in der gleichen Woche unterschrieb sie einen Ausbildungsvertrag in einer Kfz-Werkstatt.

1981 dann der wichtigste Schritt für ihre Fußballkarriere: Landers ging zum SSG 09 Bergisch Gladbach. Damals der beste deutsche Verein im Frauenfußball und bis heute deutscher Rekordmeister. Sie war noch nicht ganz angekommen, da ging es auch schon auf große Fahrt. In Taipeh sollte eine Frauenfußball-Weltmeisterschaft stattfinden. Auch eine deutsche Frauennationalmannschaft war eingeladen. Doch es gab noch keine. „Die Ausrichter wollten aber unbedingt ein deutsches Team dabei haben, also sind wir mit unserer Vereinsmannschaft dorthin gefahren“, erinnert sich Landers.

Nur durch Sponsoren in Bergisch-Gladbach war die Reise möglich. Recht unbeachtet von der Öffentlichkeit gewann der deutsche Fußballmeister auch die inoffizielle WM. „Wir haben damals in elf Tagen neun Spiel absolviert, bei Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit“ erinnert sich Landers an die Strapazen und lächelt, wie so oft. Zurück in Bergisch-Gladbach gab es in der Stadt einen großen Empfang, der DFB meldete sich aber nicht.

Kick auf dem Kilimandscharo: Petra Landers war beim höchsten Fußballspiel der Welt dabei. Foto: privat.

Kick auf dem Kilimandscharo: Petra Landers war beim höchsten Fußballspiel der Welt dabei. Foto: privat.

John David Seidler hat über diese unglaubliche Geschichte eine Dokumentation gedreht: „Das Wunder von Taipeh“ – ein Film, der den Kampf der Fußballfrauen gegen das Establishment und für mehr Chancengleichheit beleuchtet. „Eigentlich wären wir mit einigen Spielerinnen von damals und dem Regisseur jetzt auf Tour, um den Film vorzustellen. Aber dann kam Corona“, sagt Landers.

Unter ihrer damaligen Trainerin Anne Trabant wurde Landers aber auch zur „richtigen“ Nationalspielerin. Denn 1982, nur ein Jahr nach dem Erfolg der Bergisch-Gladbacherinnen, gründete der DFB eine eigene Frauenfußballnationalmannschaft. Und Landers wurde zum ersten Länderspiel eingeladen. „Ich war stolz, dabei sein zu dürfen“, erinnert sie sich. Mit dem Adler auf der Brust tauchte sie in eine andere Welt ein. Es ging mit einer Eskorte zum Stadion, vor dem Spiel ertönte die Nationalhymne. Fernsehteams waren im Stadion und einige prominente Beobachter aus der Welt des Männerfußballs. „Jede Spielerin war total aufgeregt. Wir wollten das auf keinen Fall verbocken“, so Landers. Das taten sie auch nicht. Mit 5:1 siegte die Elf, die von Gero Bisanz trainiert wurde, gegen die Schweiz. Landers stand die gesamten 90 Minuten auf dem Platz.

„Fußball war für mich das Wichtigste“

Es sind schöne Erinnerungen, auf die sie in ihrem kleinen Wohnzimmer in Bochum-Riemke zurückblickt. Doch da sind auch immer wieder Rückschläge. Landers musste vor der Europameisterschaft 1989 ihrem damaligen Chef mit der Kündigung drohen, weil dieser ihr keine Freigabe für einen DFB-Lehrgang geben wollte. „Fußball war für mich das Wichtigste“, sagt sie. Ihr Chef gab schließlich nach. Im Männerfußball wäre so etwas aber undenkbar gewesen. Für die Frauen war das Normalität.

Deutschland gewann die EM. Aber wirkliche Anerkennung erfuhren Landers und die anderen Frauen nicht. Ein Symbol dafür ist die Prämie des DFB: ein Kaffeeservice mit Blumendekor. Heute bekommen die Nationalspielerinnen Prämien bis zu 75.000 Euro beim Gewinn eines großen Turniers. Landers selbst hat mit dem Fußball nie Geld verdient. Sie hat als Kfz-Mechanikerin gearbeitet, dann in einer Druckerei, die sie später sogar übernommen hat. 2012 musst sie diese schließen. Sie konnte mit den Internet-Angeboten nicht mithalten. Heute arbeitet sie in der Kindertagespflege und betreut dort Kinder unter drei Jahren, die „Pampersliga“, wie sie lachend sagt.

Landers Fußball-Geschichte hat noch so viele Kapitel. Ein ganz besonderes ist ihre Teilnahme am höchsten jemals ausgetragenen Fußballspiel der Welt auf dem Kilimandscharo auf 5715 Metern. Mit 55 Jahren war sie 2017 die älteste Teilnehmerin der Aktion, die unter dem Motto „Equal Playing Fields“ auf die Ungleichbehandlung von Frauen aufmerksam machen wollte. „Das war eine wahnsinnige körperliche Herausforderung“, sagt Landers und ist doch stolz, dass sie dabei war.

"Dort tanke ich auf" - Petra Landers im Rahmen inmitten afrikanischer Fußballerinnen. Foto: privat.

„Dort tanke ich auf“ – Petra Landers im Rahmen eines Projekts inmitten afrikanischer Fußballerinnen. Foto: privat.

Bedauert sie, zu der frühen Generation der Fußballerinnen gehört zu haben? „Nein. Es sollte alles so sein. Ich bin nicht neidisch auf heutige Generationen. Ich bin eher stolz darauf, zu den ersten gehört zu haben, weil wir denen ja den Weg bereitet haben“, sagt sie. Und weil ihr der Fußball so viel bedeutet und gegeben hat, engagiert sie sich auch nach ihrer Karriere weiter.

Ihr Glück hat Petra Landers in Afrika gefunden

Die Bochumerin ist für Organisationen wie „street football world“ oder „discover football“ unterwegs, hat unter anderem in Ghana, Sambia und Uganda Fußball-Workshops für Mädchen und Frauen durchgeführt. Während dieser Workshops empfinde sie ein besonderes Glück, sagt sie. Auch deshalb möchte sie bald möglichst nach Afrika auswandern.

„Dort zählt der Mensch. Familie, Gemeinschaft – darauf kommt es an, nicht darauf, was du kannst oder erreicht hast“, sagt Landers. Sie möchte den Mädchen und Frauen das Schöne, nämlich die  Leidenschaft des Spiels zeigen. Vielleicht sogar dabei helfen, dass Trainerinnen ausgebildet werden. Denn diese fehlten in Afrika besonders. Aber die Menschen in Afrika geben ihr auch viel zurück. Sie begegneten ihr mit Offenheit, Herzlichkeit und Wärme. „Dort kann ich auftanken“, sagt Landers. Wahrscheinlich spürt sie dort auch ehrliche Anerkennung für ihr Fußballspiel, die sie in Deutschland nie gefunden hat. Und sicher erinnern sie die Mädchen in Afrika auch sehr an ihre eigene Jugend. Denn sie alle kicken mit Leidenschaft und aus Spaß am Spiel.

Jürgen Bröker, wsp

Dieser Artikel ist in Heft 5/2020 des WESTFALENSPIEGEL erschienen. Hier können Sie ein kostenloses Probeheft bestellen

Ein Interview zur Geschichte und Entwicklung des Frauenfußballs in Westfalen lesen Sie außerdem hier: „Wir wollten einfach Fußball spielen“

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