Ruprecht Polenz war langjähriger Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Foto: CDU
29.07.2021

Für ein stärkeres Westfalen-Bewusstsein

Vor der Bundestagswahl im September spricht der ehemalige Abgeordnete Ruprecht Polenz über regionales Denken in der Politik.

Wenn auf bundespolitischer Ebene wichtige Entscheidungen getroffen werden, kann man sich sicher sein, dass auch Westfalen daran beteiligt sind. Minister, Fraktionsvorsitzende, Parlamentarische Geschäftsführer – die Bandbreite der politischen Entscheider aus der Region ist groß, das zeigt allein ein Blick auf die aktuelle Bundesregierung: Gesundheitsminister Jens Spahn kommt aus dem Kreis Borken, Umweltministerin Svenja Schulze aus Münster, ebenso wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Bildungsministerin Anja Karliczek ist gebürtige Ibbenbürenerin. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist Westfale. Man könnte die Liste prominenter Namen, die als Fraktionsvorsitzende oder in anderen parteipolitischen Ämtern an den Strippen der Bundespolitik ziehen, noch weiterführen.

Der Einfluss der Westfalen auf die Bundespolitik ist nicht neu, weiß Ruprecht Polenz. Der 75-Jährige saß von 1994 bis 2013 für die CDU im Bundestag. Für einige Monate im Jahr 2000 war er Generalsekretär der CDU. Polenz erinnert sich noch an Zeiten, als die Posten in einigen Gremien zwischen Westfalen und Rheinländern möglichst ausgleichend besetzt wurden. „Wenn in den 1990er Jahren der Vorsitzende der NRW-Landesgruppe in Berlin aus dem Rheinland kam, wurde sein Stellvertreterposten oft mit einem Westfalen besetzt und umgekehrt. Allerdings hat die Bedeutung der Herkunft dann in den Folgejahren doch abgenommen“, so Polenz.

Verbündete für Verkehrsanliegen

Ein wichtiger Bereich, in dem sich die nach Berlin entsandten Politiker für ihre Region einbringen können, ist der Verkehrssektor. Vor allem wenn es um Maßnahmen geht, die im Bundesverkehrswegeplan stehen, werden diese in einem größeren Zusammenhang gedacht. Das ruft dann Bündnisse von Abgeordneten aus benachbarten Wahlkreisen hervor. „Nehmen sie zum Beispiel den Bahnverkehr. Ein immer wieder diskutiertes Thema ist die Nord-Süd-Verbindung München-Hamburg. Entlang der Strecke gibt es viele Initiativen, die gemeinsam den erforderlichen Ausbau voranbringen möchten. Auch geht es um die Anbindung des Ruhrgebiets oder auch Münsters an diese Strecke“, erklärt Polenz.

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Der Bahnverkehr sei ohnehin ein Bereich, in dem Westfalen mit einer gemeinsamen Stimme auftreten könnte, so Polenz weiter. Denn auf diesem Gebiet hinke die Region dem Rheinland hinterher. „Ich sehe zum Beispiel nicht, dass man in absehbarer Zeit die Strecken Münster–Bielefeld oder Münster–Paderborn mit der Bahn in einer ähnlichen Geschwindigkeit zurücklegen kann, wie man auf vergleichbar langen Strecken im Rheinland unterwegs ist“, sagt Polenz. Hier könne etwas mehr Westfalen-Bewusstsein nicht schaden.

Selbstbewusstes Westfalen

Polenz, der übrigens erst zum Studienstart aus Unterfranken nach Westfalen gezogen ist, unterstützt ein stärkeres Westfalen-Bewusstsein durchaus. Der Landesteil dürfe selbstbewusst auftreten. Neben der Wirtschaftskraft der Region sieht er noch weitere Gründe, unter anderem: „Wenn NRW aufgeteilt würde in zwei Bundesländer Rheinland und Westfalen, dann zählten diese beiden Bundesländer immer noch zu den fünf größten Ländern Deutschlands.“

Seine Erfahrung in Berlin hat gezeigt, dass Westfalen von außen betrachtet in ganz Deutschland und damit natürlich auch in Parlamentskreisen in Berlin als eigener Kulturraum mit einem eigenen Menschenschlag ein Begriff sei. „Ich frage mich aber, ob es von innen betrachtet für die Westfalen eine ähnliche Wahrnehmung und ein ähnliches Regionalbewusstsein gibt. Ich glaube, das ist eher kleinteiliger, also ein Bewusstsein für das Münsterland oder auch Ostwestfalen“, so Polenz. Für seine Deutung spricht auch, dass es während seiner aktiven Zeit keine Westfalen-Gruppe in Berlin gegeben habe, wohl aber regelmäßige Treffen mit Abgeordneten aus dem Münsterland.

Polenz ist auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag weiter politisch aktiv geblieben. So ist er seit 2015 Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Dialog mit Namibia und handelte das Versöhnungsabkommen mit dem afrikanischen Land aus. Auch über seinen Twitter-Account mischt er politisch mit, und er engagiert sich als Kolumnist bei Rums, einem Newsletter für Münster.

Tipp für neue Abgeordnete

Die anstehende Bundestagswahl verfolgt er mit großer Spannung. Für die dann neu gewählten Abgeordneten, die erstmals in den Bundestag einziehen werden, hat er einen Tipp: „Zuhören ist oft wichtiger als reden. Ich habe es gern mit einem chinesischen Sprichwort gehalten: Man hat zwei Ohren und einen Mund.“

Jürgen Bröker

Dieser Beitrag erschien in Heft 4/2021 des WESTFALENSPIEGEL. Gerne schicken wir Ihnen zwei Ausgaben im Rahmen unseres Probeabos zu. Hier können Sie das Probeabo einfach bestellen: Zum Probeabo

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