Tiefgefrorene Archivalien nach einer Kellerüberflutung. So geht es für die Dokumente in den Gefriertrockner. Foto: LWL-Archivamt
20.07.2021

Gefrierfach statt Föhn

Nachdem sich das Wasser aus den Häusern und Wohnungen in den Überflutungsgebieten zurückgezogen hat, versuchen die Menschen dort zu retten, was zu retten ist – darunter sind auch wichtige Dokumente und persönliche Erinnerungen. Im Interview erklärt der Leiter des LWL-Archivamtes Dr. Marcus Stumpf, wie man Akten, Dokumente und Fotos richtig trocknet.

Herr Stumpf, wie lassen sich Dokumente retten, die eine zeitlang in überfluteten Räumen gelegen haben?
Im ersten Schritt sollte man die Dokumente immer einfrieren. Das wäre die beste Lösung. In den aktuell betroffenen Krisengebieten geht das aber häufig nicht, da es vielerorts noch keinen Strom gibt und somit auch keine Kühlschränke zur Verfügung stehen. Also sollte man versuchen, die Dokumente an der Luft zu trocknen. Das Trocknen von Dokumenten an der Luft ist aber wirklich als Notlösung in der Krisensituation zu betrachten. Verwaltungen und Archive sollten dagegen immer professionell handeln und erst einfrieren, gegebenenfalls auch mit Unterstützung von Dienstleistern.

Wie funktioniert die Notlösung – das Trocknen an der Luft – am besten? 
Bei mehrseitigen Akten sollte man diese auffächern und idealerweise Küchenpapier zwischen die einzelnen Seiten legen. Dann bringt man die Dokumente an einen trockenen Ort. Den Aufwand sollte man aber nur bei unwiederbringlichen Dokumenten betreiben. Alles, was man ohne Probleme neu bekommen kann, sollte man – so schwer es auch fallen mag – entsorgen. Vieles ist ohne professionelle Unterstützung nicht zu retten. Das gilt leider auch für die wesentlich sensibleren Fotos oder Negative.

Wie schnell muss eine Trocknung erfolgen?
Sobald die Dokumente aus dem Wasser sind, sollte man das angehen. Liegen sie noch im Wasser ist das zunächst kein Problem. Beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs waren die Dokumente teilweise über Monate im Wasser.

Wenn Strom vorhanden ist, kann ich die Dokumente dann nicht auch trocken föhnen?
Nein, das sollte man auf jeden Fall vermeiden. Die Wärme regt das Wachstum von Schimmel noch weiter an. Die Unterlagen nehmen mehr Schaden durch das Föhnen, als dass es hilft.

LWL-Chefarchivar Dr. Marcus Stumpf. Foto: privat

LWL-Chefarchivar Dr. Marcus Stumpf. Foto: privat

Haben betroffene Kommunen bei Ihnen schon um Hilfe gebeten?
Die ersten Anfragen sind tatsächlich schon eingegangen. Etwa aus Hagen, Balve oder auch Menden. Wir haben die Möglichkeit, die Akten, nachdem sie eingefroren wurden, gefrierzutrocknen. Damit überspringen wir den Aggregatzustand Wasser. Das schont die Dokumente.

Sind solche Ereignisse nicht auch ein wichtiger Hinweis dafür, dass noch mehr Archive ihre Dokumente digitalisieren müssten?
Nicht unbedingt. Zum einen sind digitale Archive heute immer noch wesentlich teuerer als analoge. Außerdem gilt beim Archivgut die Regel, dass die Unterlagen in ihrer Entstehungsform zu erhalten sind. Solche Dokumente muss man also versuchen zu retten. Die Digitalisierung dient eigentlich nur dazu, einen besseren Zugang zu den Akten zu gewährleisten. Ein digitales Dokument ist kein Ersatzmedium für die Originale. Wenn man die Dokumente allerdings digitalisiert hat, ist der Totalverlust ein Stück weit abgemildert.

Lassen sich durch Hochwasser oder andere Katastrophen verlorene Akten noch einmal rekonstruieren?
Wenn es beispielsweise um historische Akten geht, ist die Antwort klar nein. Was weg ist, ist weg. Anders ist das bei besonders wichtigen Akten aus der Verwaltung. Etwa wenn es um Hochzeiten, Geburten oder Sterbefälle geht. Diese Personenstandsunterlagen werden in Zweitschriften geführt und an unterschiedlichen Orten aufbewahrt. Sie sind also nicht verloren. Das ist ja auch sinnvoll. Schließlich muss es rekonstruierbar sein, dass jemand geboren wurde.

Interview: Jürgen Bröker

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