Auf dem Gelände Mark 51°7 in Bochum sind die Bohrungen abgeschlossen. In rund 800 Meter Tiefe wird Grubenwasser angezapft, um einen Großteil des Wärme- und Kältebedarfs des Areals zu decken. Foto: F. Jagert / Fraunhofer IEG
09.08.2024

„Wir haben es einfach gemacht“

Interview mit Elke Temme, Geschäftsführerin der Stadtwerke Bochum, über die Chancen der Geothermie für die Wärme- und Kälteversorgung der Zukunft.

Warum ist die Geothermie ein Thema für die Stadtwerke?
Wir sind dabei, die gesamte Wärmeerzeugung zu dekarbonisieren. Das ist wirklich eine Mammutaufgabe, die wir hier vor uns haben. Zur Einordnung: Die Vorgabe der Politik ist ja, dass wir 30 Prozent der Wärmeerzeugung bis 2030 und 80 Prozent bis 2040 grün haben müssen. Das lässt sich – je nach Voraussetzungen – nicht mal eben so realisieren. In Bochum haben wir nicht das große Industriewerk, von dem wir die Abwärme als grüne Energie nutzen und damit schon 60 Prozent oder vielleicht sogar mehr abdecken könnten, wie das in manch anderen Städten der Fall ist. Wir richten unseren Blick demnach auf die Frage: Was sind nutzbare erneuerbare Energiequellen, die gleichzeitig auch noch bezahlbar und sicher sind?

Wie grün ist denn die Wärmegewinnung aktuell bei den Stadtwerken?
Wir haben im Moment einen Anteil von rund zehn Prozent. Wir sind mit Nachdruck dabei, die 30 Prozent bis 2030 zu erreichen. Das klingt immer so, als hätte man noch Zeit, aber das ist ein anspruchsvolles Ziel. Auch weil die Genehmigungsverfahren einige Zeit dauern. Aber wir sind optimistisch und nehmen Anlauf, um das entsprechend hochzufahren.

Elke Temme, Geschäftsführerin der Stadtwerke Bochum. Foto: Stadtwerke Bochum

Elke Temme, Geschäftsführerin der Stadtwerke Bochum. Foto: Stadtwerke Bochum

Und da kommt dann die Geothermie ins Spiel.
Genau, deshalb haben wir uns schon recht früh mit diesem Thema beschäftigt. Immer wissend, dass Geothermie auch ein hohes Anfangsrisiko birgt. Die Frage ist ja, ob die notwendige Bohrung fündig ist oder nicht. Wenn sie aber fündig ist, dann glauben wir, dass wir entsprechende Anlagen zu vernünftigen Kosten betreiben können. Nur so können wir unseren Kunden vernünftige Wärmepreise anbieten. Geothermie ist eine sehr attraktive Wärmequelle: Sie ist ganzjährig vorhanden und sie ist regional, man muss daher keine langen Transportwege einplanen. Dadurch fällt auch der CO2-Fußabdruck weg.

Was schreckt dennoch manche Stadtwerke davon ab, das Thema tiefe Geothermie in Angriff zu nehmen?
Zum einen sind es die hohen Anfangsinvestitionen. Eine sehr tiefe Bohrung ist auch sehr teuer. Außerdem kann niemand garantieren, dass man in der Tiefe auch warme Wasservorkommen findet, die man anzapfen kann. Dieses Fündigkeitsrisiko ist sicherlich ein Hemmschuh. Aber das hat die Politik inzwischen ja auch verstanden. Im Masterplan Geothermie für NRW ist eine Versicherung vorgesehen, die das Risiko immerhin zum Teil abdeckt. Das geht in die richtige Richtung, denn allein könnten die Stadtwerke ein solches Risiko nicht tragen.


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Bei der Erschließung des Mark 51`7-Geländes haben die Stadtwerke Grubenwasser aus dem Kohlenbergbau als Wärmequelle angezapft. Warum ist da niemand eher drauf gekommen?
Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich kann aber sagen, wir haben es einfach gemacht. Wir haben uns das getraut, auch in dem Verständnis, dass wir innovative Lösungen vorantreiben wollen und auch lernen wollen. Wenn die Wärmegewinnung dort läuft, was voraussichtlich Anfang 2026 der Fall sein wird, sollen 70 bis 75 Prozent des Wärme- und Kältebedarfs für das gesamte Areal aus dem Boden kommen. Dann können wir auch sehen, wie viel Wärme wir tatsächlich generieren und wie teuer der Betrieb wirklich ist. Das werden dann wertvolle Erkenntnisse für weitere mögliche Projekte sein. Schließlich gibt es hier in Bochum, im ehemaligen Bergbaugebiet, eine Menge Grubenwasser, das wir vielleicht nutzbar machen können.

Gibt es weitere Projekte, an denen die Stadtwerke schon arbeiten?
Beim Thema Grubenwasser haben wir tatsächlich schon weitere Projekte ins Auge gefasst. Hier ist das Fündigkeitsrisiko überschaubar. Wir wissen schließlich, dass das Grubenwasser da ist. Anders sieht es bei der Tiefengeothermie aus, da muss man vorab schon genauere Untersuchungen des Bodens machen, wie es etwa in Münster mit der 3D-Seismik geplant ist. Es ist auch gut, dass es von der Politik eine Anschubfinanzierung für solche Projekte gibt. Am Ende wird sich das für alle auszahlen, da bin ich mir sicher. Wenn wir in der Tiefe fündig werden, ist es auf Dauer eine super attraktive Energiequelle, weil wir mit der Geothermie eine grüne Energie haben, die nachhaltig, regional und dezentral und dadurch weniger verwundbar ist.

Ist Tiefengeothermie im Ruhrgebiet umsetzbar?
Das ist die zentrale Frage. Hierzu arbeiten wir eng mit unseren Partnern vom Fraunhofer Institut und dem Geologischen Dienst NRW zusammen. Untersuchungen des Bodens müssen erst noch zeigen, dass es sich lohnt, tief zu bohren. Dass Tiefengeothermie grundsätzlich machbar ist, sehen wir ja am Beispiel München. Dort laufen einige Anlagen schon seit Jahren erfolgreich. Bevor wir hier aber in die ganz tiefen Lagen gehen, damit meine ich drei oder vier Kilometer, müssen wir die Fündigkeit eruieren. Deshalb gehen wir das gerade konsequent mit unseren Partnern an.

Interview: Jürgen Bröker

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