Die Dauerausstellung des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold beschäftigt sich mit der wechselvollen Geschichte deutscher Aussiedler im russischen Reich und die Rückkehr ihrer Nachkommen nach Deutschland. Fotos: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte
24.02.2023

„Große Solidarität“

Vor einem Jahr begann der russische Angriff auf die Ukraine. Kornelius Ens, Leiter des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold, berichtet, wie die Russlanddeutschen in Ostwestfalen-Lippe zum Ukraine-Krieg stehen.

Herr Ens, durch Ihre Museumsarbeit haben Sie viele Kontakte zu sogenannten Russlanddeutschen, die sich als Spätaussiedler in Ostwestfalen-Lippe niedergelassen haben. Was denken diese Menschen über den Krieg in der Ukraine?
Bei den in Ostwestfalen-Lippe lebenden Russlanddeutschen gehört ein erheblicher Anteil zu den sogenannten Schwarzmeer-Deutschen, die ihre Kolonie-Ursprünge im russischen Reich in der heutigen Ukraine gehabt haben. Viele der Geburtsdörfer von den älteren Menschen, die hier leben, wurden in diesem Krieg bereits zerstört oder stehen unter Angriffen. Daher gibt es aufgrund dieser historischen Begebenheiten eine große Identifikation der Russlanddeutschen in Ostwestfalen-Lippe mit der Ukraine und eine sehr hohe Beteiligung bei Aktionen für Geflüchtete. Womit diese Menschen auch deutlich machen, dass sie gegen den Krieg sind. Besonders Russlanddeutsche, die sich kirchlich organisiert haben, plädieren für ein friedliches Miteinander und fallen sehr stark durch die große Solidarität mit den Geflüchteten auf.

Postkarte mit Schulhof im Schwarzmeergebiet (Chortytzja, 1908). Heute liegt die Region im Kriegsgebiet.Fotos: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte

Postkarte mit Schulhof im Schwarzmeergebiet (Chortyzja, 1908). Heute liegt die Region im Kriegsgebiet.
Fotos: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte

Und deutschlandweit?
Das Problem ist die Heterogenität der Gruppe: Der Begriff „russlanddeutsch“ ist in diesem Kontext hochgradig missverständlich. Er bezieht sich nicht auf die heutige Russische Föderation, sondern auf das russische Reich in der Zeit vor der Sowjetunion. Jemand, der aus Kirgistan oder Kasachstan nach Deutschland gekommen ist, gilt auch als „russlanddeutsch“.

Kornelius Ens, Leiter des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte. Foto: privat

Kornelius Ens, Leiter des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte. Foto: privat

Es gibt Putin nahestehende Russlanddeutsche ebenso wie sehr starke Putin-Gegner. Die Einstellung zum Krieg hat auch viel mit Russisch-Sprachigkeit zu tun und welchen Medienkonsum man hat. In Ostwestfalen-Lippe ist die Russischsprachigkeit eher schwach ausgeprägt, weil es sich hier um eine Gruppe handelt, die mit der niederdeutschen Mundart nach Deutschland gekommen ist und tendenziell kein Russisch mehr spricht. Dadurch ist auch der Medienkonsum dieser Gruppe ein anderer.

Inwieweit erleben Russlanddeutsche hierzulande Diskriminierungen seit dem 24. Februar 2022?
Diskriminierungen sind mir nicht größerer Art bekannt – weder im persönlichen Umfeld noch für das Museum als Institution.

Unterhalten Sie vom Museum aus Kontakte zu Geflüchteten aus der Ukraine?
Schon wenige Tage nach dem Beginn des Krieges waren die ersten Geflüchteten in Lippe. Am Museum haben wir das Aktionsbündnis Frieden gegründet, um die Hilfsbereitschaft verschiedener Initiativen für die Geflüchteten zu koordinieren. Viele Kirchengemeinden, insbesondere auch die von Aussiedlergemeinden sind dort engagiert, aber auch soziale Initiativen und Privatpersonen. Die Kontakte zu Geflüchteten sind bis heute sehr stark.


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Inwieweit spiegelt sich der Krieg dieses Jahr in der Museumsarbeit wider?
Bei Museumsbesuchen kommt der Krieg immer wieder zur Sprache, er ist auf jeden Fall präsent. Wir als Museum nehmen ihn zum Anlass, das Thema Frieden und Versöhnung zu stärken, insbesondere in der Vermittlungsarbeit. Ausgehend von dem Aktionsbündnis Frieden wollen wir in Zukunft Workshops und Tagungen für unterschiedliche Zielgruppen anbieten sowie Erzähl-, und Begegnungsräume schaffen, in denen über Friedensbildung gesprochen wird. Die Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt zudem ein Schülerprogramm, das von unserem Museumspädagogen entwickelt und umgesetzt wird. Damit soll die Friedensbildung über Forschung und Vermittlung an unserem Museum nachhaltig verankert werden.

Interview: Martin Zehren

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