Grundschulen auf dem Land bangen um ihre Existenz: Altersgemischtes Lernen als Perspektive
Westfalen (wh). Die Schule im Dorf wird bald nicht mehr selbstverständlich sein. Denn im Zuge des demographischen Wandels sinken die Schülerzahlen in Westfalen deutlich. Besuchten im Jahr 2000 noch 402.335 Schüler in der Region die Klassen eins bis vier, so sind es im laufenden Schuljahr nur noch 318.157 Kinder. Ein Rückgang von rund 20 Prozent, geht aus den Erhebungen des Statistischen Landesamtes hervor.
Auch die Anzahl der Grundschulen ist gesunken. Waren es vor zehn Jahren 1713 in Westfalen, so gibt es heute noch 1538 " das entspricht jedoch nur einem Rückgang von zehn Prozent. Somit stehen immer mehr Grundschulen vor der Herausforderung, die gesetzliche Mindestanzahl von 18 Schülern in ihren Klassen zu erreichen, um so ihren Erhalt zu sichern.
Damit künftig möglichst keine Schulen geschlossen werden und Kinder nicht weit zum Unterricht fahren müssen, setzen Experten immer stärker auf flexible Lösungen wie das jahrgangsübergreifende Lernen mit altersgemischten Klassen " trotz der Vorurteile mancher Eltern.
"Es gibt in Deutschland noch die fixe Idee, dass das Leistungsvermögen von Kindern kontinuierlich zunimmt. Das ist jedoch lebensfremd. Die Kinder nach ihren Fähigkeiten, statt allein nach ihrem Alter in Gruppen zusammenzufassen, ist grundsätzlich sinnvoll", sagt Dr. Ernst Rösner vom Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung.
Auch Bildungspolitiker wie der CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Kaiser plädieren für pragmatische Lösungen vor Ort, wenn es darum geht, lange Schulwege zu verhindern. "Dazu zählen neben dem jahrgangsübergreifenden Lernen auch Schulverbände, in denen mehrere Schulen kooperieren", sagt der Politiker aus dem Hochsauerlandkreis.
Für das altersgemischte Lernen in den Klassen eins und zwei sowie drei und vier können sich die Grundschulen bereits selbstständig durch einen Konferenzbeschluss entscheiden. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann unterstützt diesen Ansatz: "Aus meiner Sicht ist es bedauerlich, dass in weniger als zehn Prozent der Grundschulklassen jahrgangsübergreifender Unterricht praktiziert wird. Ich sehe in diesem Konzept viele Vorteile: Es erfordert einen Unterricht, der konsequent auf individuelle Förderung in heterogenen Lerngruppen setzt und damit der Tatsache Rechnung trägt, dass Kinder zum Beginn der Schulzeit bereits sehr ausgeprägte Fähigkeiten und Kompetenzen haben", sagt die Ministerin gegenüber "Westfalen heute".
Viel zu häufig würde dieses pädagogische Konzept aber als eine Notlösung genutzt, wenn die Schließung der Schule droht, hat Dr. Ernst Rösner beobachtet. Dabei funktioniere der gemeinsame Unterricht nach seiner Erfahrung nur, wenn sich eine Grundschule bewusst und aus pädagogischen Gründen dafür entscheidet. Die Umstellung brauche dann nicht einmal eine besondere Fortbildung der Lehrer. "Beim altersgemischten Lernen geht es letztlich um die individuelle Förderung der Kinder. Und das sollten Lehrer eigentlich bereits in ihrer Ausbildung lernen.